DAYLIGHT & ARCHITECTURE - Grado Zero Espace Srl
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INTERVIEW MIT<br />
ANASTASIA<br />
KARANDINOU<br />
Anastasia Karandinou stammt aus<br />
Athen, wo sie ihr Architekturdiplom<br />
an der Nationalen Technischen Universität<br />
erhielt. Momentan arbeitet<br />
sie an ihrer Doktorarbeit (PhD) zum<br />
Thema „Materialität und Immaterialität<br />
in der Architekturtheorie und im<br />
architektonischen Entwurf“ an der<br />
Universität von Edinburgh.<br />
D&A Was haben Ihnen die Kultur, in<br />
der Sie aufgewachsen sind, und Ihr Architekturstudium<br />
Ihnen über Licht vermittelt?<br />
AK Für die griechische Kultur, in der ich<br />
groß wurde, ist das Tageslicht von großer<br />
Bedeutung. Sowohl Licht als auch<br />
Schatten können hier sehr intensiv<br />
und hart sein. In Teilen Griechenlands<br />
wird die Architektur stark durch die<br />
dort herrschenden Lichtverhältnisse<br />
beeinflusst. Das Erscheinungsbild von<br />
Objekten und Formen bei bestimmtem<br />
Lichteinfall und die Notwendigkeit,<br />
sich vor Licht und Hitze zu schützen<br />
oder das Licht zu filtern und zu lenken,<br />
erzeugen eine spezifische Atmosphäre,<br />
die für die lokale Architektur<br />
kennzeichnend ist.<br />
Während unseres Studiums an<br />
der Architekturfakultät der Nationalen<br />
Technischen Universität von<br />
Athen befassten wir uns mit einer<br />
Reihe von Theorie- und Entwurfsprojekten,<br />
bei denen das Licht stets eine<br />
elementare Rolle spielte. Ich persönlich<br />
verstehe unter ‚Licht’ das gesamte<br />
Beleuchtungsspektrum, angefangen<br />
von greller Beleuchtung natürlicher<br />
oder künstlicher Art über weiches,<br />
diffuses Licht bis zur totalen, lichtlosen<br />
Finsternis. Bei Dunkelheit (als<br />
einer Form des Lichts) rückt die visuelle<br />
Wahrnehmung in den Hintergrund,<br />
während unsere anderen Sinne deutlich<br />
geschärft werden.<br />
D&A Welche Eigenschaften des<br />
Lichts sind für Ihre Arbeit besonders<br />
wichtig?<br />
AK Die von meinen Professoren in<br />
Athen, Eindhoven und Edinburgh geleiteten<br />
Studien und Projekte waren<br />
extrem anspruchsvoll und provokativ<br />
und regten uns dazu an, eigene Vorstellungen<br />
von Architektur und Licht<br />
zu entwickeln. So wird in meinem Projekt<br />
für Shanghai, das ich zum International<br />
VELUX Award eingereicht habe,<br />
das Licht zum verbindenden und zugleich<br />
trennenden Element zwischen<br />
den beiden Ufern des Suzhou River.<br />
Als unsichtbare, immaterielle Brücke<br />
verbindet und trennt das Licht die<br />
beiden Stadtteile in Anlehnung an die<br />
bewegte Geschichte der Stadt (ehemals<br />
fungierte der Fluss als Trennlinie<br />
zwischen den britischen und amerikanischen<br />
Besiedlungen). Abgesehen<br />
von bloßer ‚Dekoration’ übernimmt<br />
das Licht gleichzeitig eine sehr präzise<br />
und rationale Funktion: Im Open-<br />
Air-Kino wird es zur Projektion, in den<br />
Telefonzellen zur Beleuchtung genutzt<br />
und bei der unterirdischen Filmschule<br />
als dramatischer Effekt eingesetzt.<br />
Durch diese Auffassung von Licht<br />
bieten sich mir zwei verschiedene Interpretationen:<br />
Einerseits schafft das<br />
Licht als immaterielle Brücke eine<br />
Verbindung und Trennung zwischen<br />
den beiden Stadtteilen, andererseits<br />
greift die entworfene Beleuchtung die<br />
vor Ort existierenden Lichtquellen auf,<br />
die gleichermaßen beweglich und veränderlich<br />
sind, wie Autoscheinwerfer,<br />
mobile Verkaufsstände und Hausbeleuchtungen.<br />
Licht und Beleuchtung<br />
eines Ortes vermitteln uns einen Eindruck<br />
des dort herrschenden Lebens.<br />
Eine Lichtkarte einzelner Gebiete<br />
Shanghais würde vermutlich deren<br />
jeweilige Charakteristika offenbaren<br />
und uns dazu veranlassen, bestimmte<br />
Gegenden näher zu betrachten, um herauszufinden,<br />
was dort passiert.<br />
Das Licht kann aber auch als Malwerkzeug,<br />
als ‚Stift’ genutzt werden.<br />
Bei meiner Interpretation und Darstellung<br />
der Stadt Shanghai nutzte ich es<br />
auch als Planungsinstrument. Wir erstellten<br />
mehrere Modelle der Stadt aus<br />
verschiedenen Materialien wie Plastik,<br />
Gips und Wachs, in die wir Routen, Aktivitäten<br />
und Informationen eingravierten.<br />
Diese Modelle projizierten<br />
wir mit einem Overheadprojektor auf<br />
eine Wand und zeichneten die Projektionen<br />
ab. Das Ergebnis waren unsere<br />
Stadtpläne.<br />
In Shanghai trafen wir am Fluss<br />
auf einen alten Chinesen, der pausenlos<br />
mit Wasser etwas auf den Boden<br />
schrieb. Bevor er einen Satz beendete,<br />
war dessen Anfang zwar bereits wieder<br />
verschwunden, aber schon gelesen<br />
worden – ähnlich einer Lichtfackel, die<br />
Zeichen in den Himmel ‚schreibt’.<br />
D&A In Ihrem Projekt für den International<br />
VELUX Award nutzen Sie das<br />
Licht, um eine Verbindung zwischen<br />
bislang voneinander getrennten Räumen<br />
und Menschen zu schaffen. Inwieweit<br />
greifen Sie hierbei auf eigene,<br />
persönliche Erfahrungen zurück?<br />
AK Licht kann in verschiedenster<br />
Weise als Verbindung dienen; so<br />
führt zum Beispiel ein Leuchtturm<br />
den Betrachter oder Reisenden zu<br />
einem bekannten Punkt. Es kann den<br />
Weg weisen oder auch Räume und<br />
Menschen durch gelungene Inszenierung<br />
eines Ortes einander näher<br />
bringen. Das Licht schafft die Voraussetzungen<br />
für bestimmte Aktivitäten,<br />
und die spezielle Beleuchtung<br />
eines Ortes lässt auf die dort stattfindenden<br />
Aktivitäten schließen.<br />
Auf dem Schouwburgplein in<br />
Rotterdam dienen beispielsweise<br />
die dort installierten Strahler, deren<br />
Position und Ausrichtung beliebig<br />
verändert werden kann, als Verbindungsglied<br />
zwischen den Besuchern<br />
und dem Ort selbst, der in diesem<br />
Falle eine Art Bühne bildet. In anderen<br />
Fällen verbindet das Licht –zum<br />
Beispiel Feuer – die Menschen, wenn<br />
sie sich um die Lichtquelle herum versammeln.<br />
Anders herum kann auch<br />
das Nichtvorhandensein von Licht<br />
zu einer Konzentration oder Verbindung<br />
der Menschen führen – zum<br />
Beispiel, wenn sich an einem heißen,<br />
sonnendurchfluteten Ort viele Leute<br />
im Schatten zusammenfinden. Licht<br />
hat aber noch weitere verbindende<br />
Eigenschaften: Es bildet eine Synthese<br />
zwischen anderen Elementen<br />
oder Merkmalen eines Ortes. Die<br />
immateriellen Lichtbrücken verbinden<br />
das Leben am Ufer des Suzhou<br />
nicht nur mit dessen Vergangenheit,<br />
sondern auch mit diffusen, weniger<br />
offensichtlichen Fragmenten der Gegenwart.<br />
Bei entsprechender Interpretation<br />
und Darstellung schaffen<br />
sie eine Verbindung zwischen einzelnen<br />
Fragmenten der Stadt – zwischen<br />
kleinen Details und scheinbar nebensächlichen<br />
Ereignissen.<br />
D&A Mit Ihrem Projekt wollen Sie<br />
Licht nach Shanghai bringen, in eine<br />
Stadt, die größtenteils – gelinde gesagt<br />
– schon reichlich beleuchtet ist.<br />
Gleichzeitig diskutieren Lichtplaner in<br />
aller Welt das Problem der ‚Lichtverschmutzung’.<br />
Wie vermeiden Sie es,<br />
durch Ihr Projekt einfach etwas hinzuzufügen,<br />
das bereits im Übermaß<br />
vorhanden ist?<br />
AK Einige Teile Shanghais mögen<br />
durchaus gut oder auch überbeleuchtet<br />
sein; die Ufergegenden des Suzhou<br />
erscheinen hingegen in einem<br />
sehr ‚speziellen‘ Licht. Angesichts<br />
mangelnder Straßenbeleuchtung<br />
sorgen nahezu ausschließlich bewegliche<br />
und unvermittelt ein- oder<br />
ausgeschaltete Lichtquellen wie Autoscheinwerfer,<br />
mobile Verkaufsstände<br />
und Hausbeleuchtungen für<br />
Helligkeit. Für die Gestaltung urbaner<br />
Beleuchtung ist dies eine durchaus<br />
reizvolle Herausforderung. Mein<br />
Entwurf ist eine Interpretation dieser<br />
Umstände: Licht sollte nicht als reines<br />
Beleuchtungsmittel angesehen, sondern<br />
planungstechnisch und ergebnisorientiert<br />
als narratives Instrument<br />
verstanden werden. Die Lichter in<br />
meinem Entwurf bewegen und verändern<br />
sich abhängig von ihrer Funktion,<br />
ähnlich der bereits existierenden<br />
Lichtquellen. So wechselt die Helligkeit<br />
des Open-Air-Kinos und der Telefonzellen<br />
je nach Tageszeit sowie in<br />
Abhängigkeit von ihrer Nutzung.<br />
114 D&A FRÜHJAHR 2007 AUSGABE 05