DAYLIGHT & ARCHITECTURE - Grado Zero Espace Srl
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FOTO: ROLAND HALBE<br />
FOTO: ROLAND HALBE<br />
LICHT-TONLEITER<br />
SPÄTVOLLENDETES<br />
MEISTERWERK<br />
Auf den Mühlbachäckern im Süden<br />
der Universitätsstadt Tübingen ist<br />
in den vergangenen Monaten ein<br />
Gewerbegebiet der besonderen Art<br />
entstanden. Nicht nur Privatunternehmen,<br />
sondern auch das Tübinger<br />
Landratsamt ließen sich hier, zentral<br />
gelegen und doch von einem Park umgeben,<br />
nieder. Das größte Gebäude<br />
im Quartier, die neue Hauptverwaltung<br />
der Tübinger Stadtsparkasse,<br />
wurde von den Stuttgarter Architekten<br />
Auer+Weber+Assoziierte geplant<br />
und fällt äußerlich nicht eben<br />
durch Extravaganz ins Auge. Den<br />
im Grundriss quadratischen, sechsgeschossigen<br />
Kubus umgibt ein frei<br />
stehendes Stahlgerüst, das die Sonnenschutz-Jalousien<br />
aufnimmt und<br />
ungewöhnlich stark an die Spätwerke<br />
Mies van der Rohes aus den<br />
USA erinnert. Und auch in punkto<br />
Offenheit durchweht den Neubau<br />
der Mies’sche Geist: Sofern der Sonnenschutz<br />
gerade nicht die Sicht<br />
verdeckt, genießen die Büroangestellten<br />
durch raumhohe Dreifachverglasung<br />
den ungehinderten Blick<br />
nach draußen. Die Innenräume wurden<br />
für deutsche Verhältnisse außerordentlich<br />
weitläufig angelegt;<br />
abgetrennte Einzelbüros erhielten<br />
lediglich die leitenden Angestellten.<br />
Das lichterfüllte Herz des so genannten<br />
‚Sparkassen Carrés‘ ist das glasüberdeckte<br />
Forum im Innenhof, das<br />
500 Personen fasst und für Veranstaltungen<br />
genutzt wird. Mit Leben<br />
erfüllen diesen Raum indes nicht nur<br />
die Nutzer: Die in das Glasdach integrierte<br />
Glasskulptur ‚chromatic<br />
scale‘ des Künstlers Bernhard Huber<br />
filtert und färbt das einfallende Tageslicht<br />
in einem sonnigen Gelbton.<br />
Der englische Begriff ‚Scale‘ steht für<br />
‚Skala‘ oder ‚Tonleiter‘, und als solche<br />
möchte auch Huber sein Kunstwerk<br />
verstanden wissen. Er unterteilte<br />
das Glasdach in einzelne, parallele<br />
Streifen, innerhalb derer sich klare,<br />
weiße und gelbe Glasflächen in unregelmäßigen<br />
Rhythmen abwechseln.<br />
„Wie bei einer Melodie gibt es<br />
mehrschichtige Überlagerungen im<br />
Duktus der verschiedenen räumlichen<br />
Glasträgeranordnungen“, so<br />
Huber. In ihrer Gesamtheit erinnert<br />
die ‚chromatic scale‘ damit an die abstrakte<br />
Notation eines Musikstücks<br />
oder an die Dezibelskala eines elektronischen<br />
Verstärkers – in jedem<br />
Fall aber erweist der Künstler damit<br />
dem Bauwerk, in dem sich letztlich<br />
alles um Zahlen und Skalen dreht,<br />
seine Reverenz.<br />
Fast drei Jahrzehnte stand die von<br />
Le Corbusier 1962-64 geplante Kirche<br />
Saint-Pierre als halbfertige<br />
Ruine in dem Arbeiterstädtchen Firminy<br />
am Ostrand des französischen<br />
Massif Central. Es hätte den Schlussstein<br />
bilden sollen für ‚Firminy-Vert‘,<br />
einer in den 50er-Jahren begonnenen<br />
Stadterweiterung im Geiste<br />
der Charta von Athen, zu der auch Le<br />
Corbusier ein Stadion, ein Kulturzentrum<br />
und eine ‚Unité d’habitation‘<br />
beisteuerte.<br />
Die rund 7,6 Millionen teure Fertigstellung<br />
des Bauwerks ist nicht<br />
zuletzt staatlichen Fördergeldern<br />
verdanken. Da diese im streng laizistischen<br />
Frankreich jedoch nicht<br />
für Sakralbauten aufgewendet werden<br />
dürfen, gilt Saint-Pierre offiziell<br />
als Museum. Im Sockel, der einst<br />
für die Gemeinderäume vorgesehen<br />
war, wurden eine Zweigstelle des<br />
Musée d’art moderne in Saint-Etienne<br />
und ein Le-Corbusier-Museum<br />
untergebracht. Die Kirche selbst ist<br />
geweiht, doch es ist fraglich, ob hier<br />
jemals ein Gottesdienst stattfinden<br />
wird. Unter ihrem hoch aufragenden,<br />
schräg gestutzten Kegeldach öffnet<br />
sich ein höhlenartiger Raum aus<br />
Sichtbeton, der tagsüber nur durch<br />
wenige Tageslichtöffnungen erhellt<br />
wird. Schmale, in Kopfhöhe umlaufende<br />
Fensterschlitze lösen das Dach<br />
optisch von seinem Unterbau. Über<br />
den rauen Sichtbeton des Gewölbes<br />
streicht das Licht aus vier weit oben<br />
angebrachten ‚Lichtkanonen‘ – Betonröhren<br />
unterschiedlichen Querschnitts,<br />
die innen rot, gelb, blau und<br />
grün gestrichen wurden. Ergänzt<br />
wird die Lichtszenerie in Saint-Pierre<br />
durch einen ‚Sternenhimmel‘ in<br />
der Ostwand, über dem Altar: Mit<br />
kleinen, runden Öffnungen in der Betonhülle<br />
wurden hier die Sternbilder<br />
Orion und Zwillinge nachgebildet, die<br />
in dieser Richtung am Nachthimmel<br />
zu sehen sind.<br />
Die Oberleitung über den Bau der<br />
Kirche hatte José Oubrerie, ein ehemaliger<br />
Mitarbeiter Le Corbusiers.<br />
Die Fondation Le Corbusier, Gralshüterin<br />
des Erbes des Architekten, hat<br />
ihr ‚Plazet‘ für den Bau bereits gegeben.<br />
Trotz einiger „persönliche Ergänzungen<br />
und Korrekturen durch<br />
Oubrerie“, schreibt der Architekturhistoriker<br />
Gilles Ragot, der von der<br />
Stiftung mit einem Gutachten beauftragt<br />
wurde, sei „die Kirche selbst<br />
[...] von einer Qualität und räumlichen<br />
Originalität, die in den größten Werken<br />
von Le Corbusier und im modernen<br />
Kulturgut zu finden sind.“<br />
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