gramme zu interpretieren, als ursprüngliche Szenarien von Gewalt und Zerstörung, die sich in diesen Orten der Verwüstung offenbaren. Es liegt mir fern, den Bildern eine bestimmte Bedeutung zuzuschreiben; sie sind vielmehr als Metaphern für den entropischen Verfall von Raum und Zeit in der postmodernen Kultur zu verstehen. Bei der Bilderserie ‚Terminal Mirage‘ ließ ich mich durch Robert Smithsons Schriften über den Great Salt Lake inspirieren und konzentrierte mich auf die rasterförmig angelegten Gebiete rund um den See – riesige Verdunstungsbecken inmitten des Militärgebiets des Tooele-Waffenlagers, wo abgelaufene chemische Waffen gelagert und verbrannt werden. Diese Aufnahmen sind nicht maßstabsbezogen, die fotografierten ‚Fakten‘ sind vielmehr eine Reihe verwirrender Wendungen. Terminal Mirage beschäftigt sich ebenfalls mit den Grenzen rationaler Kartographie. Die rasterförmig angelegten Verdunstungsbecken offenbaren eine Art transgressiver Architektur, ein endloses Labyrinth über der Oberfläche des Sees und an dessen Ufern. Seinen Namen verdankt das Projekt Terminal Mirage der Tatsache, dass der Great Salt Lake wirklich ein abgeschlossener See ohne natürliche Zu- und Abflüsse ist. Dieser klaustrophobische, ausweglose, existenzialistische Aspekt weckte meine Neugier. Mit dem Wort ‚mirage‘ soll zum Einen der nachhaltig halluzinatorische Charakter der Ausdehnung des Great Salt Lake beschrieben werden – das beständige Licht, das auf ihn strahlt und von seiner Oberfläche reflektiert wird -, zum Anderen soll betont werden, wie diese Bilderserie unsere Sichtweise und Wahrnehmung grundsätzlich in Frage stellt. Wie reagieren wir Menschen Ihrer Erfahrung nach auf Zerstörung und Verschmutzung der Umwelt? Nehmen die meisten von uns den Blickwinkel des Luftfotografen ein, um sich von diesem ‚wunden Punkt‘ zu distanzieren und aus der Ferne nur das Positive wahrzunehmen? Vorhergehende Doppelseite: David Maisel: The Lake Project 9823-4, 2002 David Maisel: Terminal Mirage 206-7, 2003 Gegenüber: David Maisel: The Lake Project 9802-1, 2002 Die verführerische, aber trügerische Schönheit seiner Luftaufnahmen ist für David Maisel eine Metapher für die Haltung des Menschen gegenüber der Natur: „Unsere heutige Gesellschaft wird zu dem Glauben verführt, dass es unwichtig sei, wie wir leben.“ Konfrontiert mit der Zerstörung unserer Erde durch unser eigenes Wirken, die Zivilisation und den industriellen Fortschritt, fühlen sich die meisten Menschen beim Betrachten meiner Bilder verwirrt, entsetzt und alarmiert. Ob sie meine Bilder als Aufruf zum Handeln verstehen, weiß ich nicht. Ich bin mir auch nicht sicher, ob meine Bilder eine derart direkte Wirkung zeigen sollen. Meine Motivation ist, Orte zu entdecken, die anderenfalls unbekannt oder unbeachtet blieben– seien es Kahlschlaggebiete, Tagebaue, Cyanid-Laugereifelder oder andere. Meine Aufnahmen sollen innere psychische Landschaften reflektieren, sind aber gleichermaßen als Dokumentationen spezieller Gebiete anzusehen. Ich selbst verstehe mich in erster Linie als visuellen Künstler, im Gegensatz vielleicht zu Fotojournalisten und Dokumentarfilmern. Mein Hauptinteresse gilt der Aufnahme von Bildern, die in visuellem Sinne unter die Haut gehen und eine gewisse poetische oder metaphorische Wirkung erzielen. Kunst kann durchaus politische Züge haben, und auch ich verfolge mit meinen Bildern eine politische Botschaft (ich glaube nicht, dass irgendjemand jahrzehntelang Fotoaufnahmen von mehr oder minder zerstörten Naturgebieten machen kann, ohne hierbei ein politisches Bewusstsein zu entwickeln!). Trotzdem möchte ich mit meinen Werken niemanden anklagen oder verurteilen – ich denke, diese Aufgabe haben wir gemeinsam als Gesellschaft zu erfüllen. So einfach liegen die Dinge nicht, als dass man mit erhobenem Zeigefinger auf dieses oder jenes Industrieunternehmen zeigen könnte. Meine Arbeiten sind keinesfalls dokumentarisch, dazu fehlt ihnen die nötige Objektivität. Sie haben theoretischen, nicht kartographischen Charakter und dienen vielmehr der Erforschung des Unbewussten denn der objektiven Darstellung. Allesamt tragen sie meinen persönlichen Stempel und verkörpern eine Form der Meditation. Vorwiegend interessieren mich die ineinandergreifenden Welten von Ethik und Ästhetik. Im Grunde geht es, denke ich, um eine Art von ‚ästhetischem‘ oder ‚unterbewusstem‘ Aktivismus, womit ich direkt zu Ihrer Frage nach dem schönen Schein komme. Schönheit offenbart sich für mich nicht darin, einfach ‚nur schön‘ zu sein. In den visuellen Künsten wird Schönheit allgemein mit Skepsis betrachtet, da wir auf sie als seriöses Darstellungsmittel nicht länger vertrauen. Doch sie kann durchaus eines sein: Schönheit prägt sich dem künstlerischen Raum strukturartig auf, um etwas darzustellen, das uns bislang noch unbekannt oder unbegreiflich ist. Ein schönes Objekt oder Bild muss nicht zwangsläufig oberflächlich sein, sondern kann durchaus eine Bedeutung oder eine beunruhigende, subversive Wirkung haben, die uns zusammenzucken lässt. Mein Interesse gilt vorwiegend einer Form von Schönheit, die ein gewisses Entsetzen und Erschrecken in sich birgt – Schönheit nicht als Balsam für die Seele, sondern als eine Art Waffe, sozusagen als moderne Fortführung der Auffassung von Erhabenheit im neunzehnten Jahrhundert, was uns einigen Aufschluss über unseren heutigen Entwicklungsstand in der Geschichte liefern sollte. In seinem Essay ‚Notes on Beauty‘ schreibt der Kritiker Peter Schjeldahl: „Die Schönheit, als solche gegenstandslos, kann mentales Heilmittel sein, das andere Elemente auflöst und überstrahlt.“ 36 D&A FRÜHJAHR 2007 AUSGABE 05
FOTO: DAVID MAISEL