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Das Argument

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452 •Besprechungen<br />

und werkimmanente Textinterpretation (siehe Besprechung v. Robert<br />

Weimann: „New Criticism" und die Entwicklung bürgerlicher Literaturwissenschaft,<br />

<strong>Argument</strong>, 9. Jhg./1967, Nr. 42, S. 64 ff). Spitzer hat<br />

in seinen späteren Veröffentlichungen diesen Positionswechsel selbst<br />

vollzogen; das vorliegende Buch beruft sich ausdrücklich auf das Prinzip<br />

einer werkorientierten „explication de texte" — die romanistische<br />

Variante neukritischer Methodologie —, nach dem drei Gedichte „mystischer<br />

Ekstase" (John Donne, Juan de la Cruz, Richard Wagner), ein<br />

Brief Voltaires und ein Text der amerikanischen Werbung interpretiert<br />

werden.<br />

Doch zeigt sich beim genauen Lesen deutlich, daß Spitzer die psychologistische<br />

Stilistik keineswegs völlig überwunden hat; vielmehr<br />

meldet sich diese unterderhand und in Form von Vorurteilen zu<br />

Wort. Popularisierte psychologische Kategorien treten jetzt in Verbindung<br />

mit abgestandenen metaphysisch-theologischen Vorstellungen<br />

auf. So heißt es über den psychologischen Mechanismus der amerikanischen<br />

Werbung, er müsse „tiefe Wurzeln in der amerikanischen<br />

Seele haben" (94), und in seiner im Detail brillanten, in den Schlußfolgerungen<br />

aber enttäuschenden Voltaire-Interpretation sagt Spitzer,<br />

daß es ihm letzten Endes darum ginge, „unter dieser so sorgfältig<br />

konstruierten Oberfläche zu schürfen, um einen Einblick in die<br />

innere Geologie des psychologischen Gefüges zu erhalten" (77). Der<br />

Betriff des psychologischen' wird dann sogleich in einem überraschenden<br />

Sprung .theologisch' erläutert: Voltaires stilistische Brillanz<br />

sei wie alle „Leistungen eines vollkommenen Stils" das „glückliche<br />

Ergebnis unserer: menschlichen Unvollkommenheit", ein „Ausgleich<br />

für die innere Einsamkeit des Menschen ohne Gott..." (77 f.).<br />

Vor allem aber sind die Wertungen Spitzers von Vorurteilen getrübt<br />

— wie sich am deutlichsten in seiner Donne-Interpretation<br />

zeigt. So sagt er über den letzten Teil des Liebesgedichtes „The Extasie"<br />

— der „die Rechtfertigung des Körpers enthält" —, er sei<br />

„dichterisch weniger geglückt" als der rein mystische erste Teil und<br />

habe „die poetische Reife nicht erlangt" (21 f.). Am Text ausgewiesen<br />

wird diese Behauptung mit keinem Wort, vielmehr beruft sich der<br />

im Zeichen einer gestrengen „explication de texte" angetretene Kritiker<br />

auf ein vages „Gefühl des Lesers" : „Jeder Leser muß hier eine<br />

dichterische Antiklimax fühlen...: nachdem wir von der Ekstase<br />

der zwei Seelen, die eins, werden, gehört haben, erscheint die Idee<br />

ihrer Rückkehr oder ihres ,Abstiegs' zum Körper nicht passend. Denn<br />

der sterbliche Mensch kann sich Seligkeit nur als einen einsam emporragenden<br />

Gipfel vorstellen, als Tod im Leben, gefolgt von Schweigen<br />

..." (21 f.).<br />

Hier mischt sich pseudometaphysische Spekulation mit puritanistischer<br />

Genußfeindlichkeit. Legouis' „fleischliche Deutung" in der<br />

Histoire de la littérature anglaise (daß das Gedicht nämlich, wie<br />

Spitzer referiert, die „fleischliche Aufforderung . . . des Mannesi<br />

an die Frau" zum Höhepunkt habe) wird mit Entrüstung zurückgewiesen.<br />

In der Tat aber stellt dieses Gedicht (wie viele Liebesgedichte<br />

Donnes und anderer ,Metaphysical Poets') in einem küh-

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