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Das Argument

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458 •Besprechungen<br />

Schäften auf „Geistesgeschichte der Naturwissenschaften" (109), die<br />

selbst dann nicht zurückgenommen wäre, wenn man noch die vom<br />

Verfasser offenbar als unbedeutend angesehenen Auswirkungen des<br />

Standes der Naturerkenntnis auf die herrschende Metaphysik einer<br />

Epoche in die Betrachtung einbezöge. Die geschichtliche Entwicklung<br />

von Philosophie und Einzelwissenschaften kann nicht abgelöst von<br />

der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung als eine Geschichte sui<br />

generis begriffen werden; zahlreiche sozialhistorische und wissenssoziologische<br />

Untersuchungen zeigen, in welchem Maße die theoretischen<br />

Modelle, mit denen die Menschen ihre singulären Erfahrungen<br />

interpretieren, von den herrschenden ökonomischen und sozialen<br />

Strukturen determiniert sind. Vor allem die Naturwissenschaften<br />

haben darum nie ausschließlich metaphysische Grundlagen im Sinne<br />

des Verfassers gehabt.<br />

Diese Reduktion der Geschichte des gesellschaftlichen Phänomens<br />

„Naturwissenschaft" auf Geistesgeschichte führt notwendig zu einer<br />

mystifizierenden Theorie über die Motive des geschichtlichen Fortschrittes<br />

der Erkenntnis: „Es ist ein dem menschlichen Geist überlegener,<br />

aber verwandter Weltgeist, der uns dazu zwingt, immer neue<br />

heroische geistige Anstrengungen zu unternehmen ..." (57). Weil sich<br />

Geistesgeschichte unterderhand zur Geistergeschichte transformiert,<br />

können die sehr materiellen Zwänge zur fortschreitenden Naturbeherrschung,<br />

denen auch der wissenschaftliche Fortschritt untersteht,<br />

in dieser Theorie nur noch in spiritualisierter Form erscheinen. Solcher<br />

Spiritualismus führt konsequent in der abschließenden „metaphysischen<br />

Gesamtschau" zur positiven Lehre von einer „Weltseele" (cf.<br />

180 ff.). Dieser Begriff der Metaphysik ist ferner bedingt durch die<br />

erkenntnistheoretische Sorglosigkeit des Verfassers: in seinem Werk<br />

erscheint die Differenz zwischen Physik und Metaphysik ausschließlich<br />

als eine dés Abstraktionsgrades. Die allgemeinen, wegen ihrer<br />

Abstraktheit sich nicht mehr auf unmittelbare Erfahrung beziehenden<br />

Grundsätze der Physik — etwa die Gesetze der Newtonschen<br />

Mechanik oder die Maxwellschen Gleichungen — werden als Beschreibungen<br />

„metaphänomenaler Vorgänge" interpretiert (cf. 104 f.),<br />

so daß dann die Frage möglich zu sein scheint: „Aber was hindert<br />

nun daran, frage ich, noch weiter emporzusteigen, über die Physik<br />

hinaus, zu noch allgemeineren Zusammenhängen? Dann gelangt man<br />

ganz natürlicher Weise über die Metaphänomenologie noch hinaus in<br />

das Reich der eigentlichen Metaphysik" (104). Schon das Problem, ob<br />

den allgemeinen physikalischen Gesetzen wirklich ein eigener Gegenstandsbereich,<br />

ein Reich „metaphänomenaler Vorgänge" korrespondiert,<br />

ist mehr als eine „unbegründete Grille der Positivisten"<br />

(105); umso fragwürdiger ist die begriffsrealistische Vorstellung, daß<br />

bloße Abstraktion immer höhere ontische Sphären erschließe. Es<br />

bleibt zu fragen, was die Metaphysik des Verfassers davor bewahrt,<br />

„flatus vocis", ein Gefüge leerer Worte zu sein.<br />

Herbert Schnädelbach (Frankfurt/Main)

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