02.03.2014 Aufrufe

Das Argument

Das Argument

Das Argument

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

II. Soziologie 473<br />

man weiß, daß die Befragten von der Struktur der sozialen Unterschiede<br />

wenig Genaues wissen. Vielmehr werden solche Kategorien<br />

selbst zum Problem. Zur Klärung der empirischen Befunde trägt<br />

freilich Runcimans Studie noch wenig bei; sie beschränkt sich auf<br />

die korrelationsstatistische Bestimmung der Bezugsgruppen. <strong>Das</strong><br />

freilich ist noch keine Analyse der Ursachen des schichtenspezifisch<br />

beschränkten Bewußtseins.<br />

Im letzten Abschnitt seines Buches formuliert Runciman die<br />

Grundrisse einer Theorie der sozialen Gerechtigkeit; sie soll verbindliche<br />

Maßstäbe der Beurteilung sozialer Ungleichheiten liefern.<br />

Ihr zufolge lassen sich in einer hypothetischen Diskussion, die fiktiv<br />

den Einfluß der „vested interests" ausschaltet, die Prinzipien der<br />

sozialen Gerechtigkeit ermitteln. Ungleichheiten sind nur dann gerechtfertigt,<br />

wenn sie auf Prinzipien beruhen, denen alle Betroffenen<br />

zustimmen würden, und zwar bevor sie wissen, ob die Anwendung<br />

dieser Prinzipien ihren Interessen förderlich oder abträglich<br />

ist. Die gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen müßte<br />

sich nach Runciman an den Prinzipien „need", „merit" und „contribution<br />

to the common good" ausrichten, wobei „need" Priorität vor<br />

den beiden anderen Prinzipien zukomme. Soziales Prestige wäre<br />

ungerecht, sofern es einem einzelnen aufgrund seiner bloßen Gruppenzugehörigkeit,<br />

nicht aber aufgrund von individueller Leistung<br />

zufalle. Die Machtverteilung schließlich hätte sich am Prinzip der<br />

maximalen Freiheit jedes einzelnen, soweit sie mit der Freiheit<br />

der anderen verträglich ist, zu orientieren. — Mit seiner Theorie der<br />

sozialen Gerechtigkeit verfolgt Runciman praktische Zwecke, sie soll<br />

zur Realisierung einer „gerechten Gesellschaft" verhelfen, zu einem<br />

radikal egalitären Wohlfahrtsstaat. Runciman umschreibt ihn als<br />

„Sozialismus"; gleichwohl seien, wie das schwedische Beispiel zeige,<br />

die Sozialisierung der Produktionsmittel und die Wirtschaftsplanung<br />

nicht zwingend erforderlich.<br />

Runcimans Theorie der sozialen Gerechtigkeit teilt mit der liberalistischen<br />

Philosophie, der sie entspringt, die Abstraktheit und die<br />

Realitätsferne. Was das Gesamtwohl sein könnte, wie der Beitrag des<br />

einzelnen für die Erhaltung des Ganzen zu beurteilen sei und wie<br />

sich die Bedürfnisse des Einzelnen dazu verhalten, ist nicht jenseits<br />

des Systems der gesellschaftlichen Partikularinteressen zu bestimmen.<br />

Zudem ist nicht einsichtig, wie in Runcimans Konzeption Einvernehmen<br />

über die jeweils anzuwendenden Prinzipien der Gerechtigkeit<br />

sich herstellen soll; „need", „merit" und „contribution to the<br />

common good" lassen sich auf kein tertium comparationis reduzieren.<br />

Die Lösung der zentralen Probleme des gesellschaftlichen Distributionsprozesses<br />

kann nicht — was Runciman unterstellt — einer<br />

hypothetischen herrschaftsfreien Diskussion zugeschoben werden.<br />

Dem „common sense" ist nicht aufzubürden, was die Wissenschaft<br />

nicht leistet. Der nationalökonomischen Theorie zufolge, die sich bekanntlich<br />

mit dem gleichen Problem befaßt, ist die Struktur der<br />

Verteilung notwendiges Resultat des Produktionsprozesses, mithin<br />

auch von Herrschaftsverhältnissen. Von beidem sieht Runciman ab.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!