Das Argument
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384 Günther Anders<br />
los aussehenden apokalyptischen Hebelgriffes unseren Erdball in die<br />
Luft sprengen wird — daß der fest davon überzeugt sein wird, nur<br />
an einem Manöver teilzunehmen.<br />
Wenn unsere heutige Lage ernster ist als je zuvor, dann also auch<br />
deshalb, weil die Chancen, den Unernst zu exploitieren, größer geworden<br />
sind als sie es je zuvor gewesen waren.<br />
<strong>Das</strong> Land der unbegrenzten Sensationslosigkeiten<br />
Es hat wohl nur wenige sensationellere Tage in der Geschichte des<br />
Vietnamkrieges gegeben, als den Tag Ende August 1967, an dem<br />
McNamara höchstselbst vor einem Senatsausschuß eingeräumt hat,<br />
daß mit den, ursprünglich für die Zerstörung oder Liquidierung<br />
höchst industrialisierter Länder konzipierten Bomben ein Gebiet wie<br />
Nordvietnam kaum würde besiegt werden können; an dem er also<br />
sowohl Mao wie Ho Chi Minh rechtgegeben hat. Schließlich widerspricht<br />
dieses Zugeständnis der bisherigen militärischen Taktik in<br />
Vietnam, nicht zuletzt den bisherigen Direktiven McNamaras selbst.<br />
Trotzdem glaube ich nicht, daß McNamara über dieses Zugeständnis<br />
stolpern wird. <strong>Das</strong> könnte allein dann geschehen, wenn die<br />
öffentliche Meinung in den USA mit so etwas wie einem öffentlichen<br />
Gedächtnis ausgestattet wäre, bzw. wenn die Massenmedien ,public<br />
memory' mit der gleichen Methodik und Kontinuierlichkeit herstellen<br />
würden, mit der sie die tägliche public opinion herstellen; nur<br />
dann, wenn sich die durchschnittlichen amerikanischen Zeitungsleser<br />
oder Fernseh-Konsumenten am Dienstag noch derjenigen Daten oder<br />
Direktiven entsinnen würden, die sie am Montag, weil sie ihnen<br />
serviert worden waren, geschluckt und geglaubt hatten. Es ist durchaus<br />
falsch, die Millionen von John Does für konservativ zu halten —<br />
das sind sie genauso wenig, wie sie progressiv sind. Um konservativ zu<br />
sein, würden sie ja ein Minimum von Gedächtnis benötigen, und dieses<br />
Gedächtnis besitzen sie nicht nur nicht, vielmehr wird dessen<br />
Nichtbesitz so systematisch erzeugt und so pausenlos in sie hineingepumpt,<br />
daß man geradezu behaupten darf, daß Vergeßlichkeit das<br />
Haupterzeugnis unter den mass-media-products ausmacht. Aus diesem<br />
Grunde darf es sich jeder Politiker am Dienstag erlauben, in<br />
eine, seiner Montagsrichtung diametral entgegengesetzte Richtung<br />
umzuschwenken; und aus diesem Grunde kann er am Dienstag von<br />
demselben Publikum, das ihm montags blindlings in Richtung A<br />
gefolgt war, erwarten, daß es ihm ebenso blindlings in Richtung Z<br />
folgen werde.<br />
*<br />
Aus diesem sensationellen Grunde hat McNamaras sensationelle<br />
Erklärung in den USA nicht als Sensation eingeschlagen. Wie dick<br />
auch die Balkenüberschriften der amerikanischen tabloids, wie laut<br />
auch das Werbegeschrei der TV-Stimmen sein mögen, die USA sind<br />
nicht etwa das Land der unbegrenzten Sensationen, sondern umgekehrt,<br />
da den Vergeßlichen nichts überraschen kann, das Land der<br />
unbegrenzten Sensationslosigkeiten.