Das Argument
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514 •Besprechungen<br />
Eltern-Kinder stark verändern (Stunden, 75) und neue Fragen an die<br />
Sozialpolitik stellen. Nicht weniger bedeutend sind jene Probleme,<br />
die sich aus Änderungen von Art und Dauer der Arbeit, Veränderungen<br />
im Bildungswesen, in der Freizeit und im Wohnungswesen<br />
ergeben werden (Stunden, 86). Fourastié zeigt, daß technische und<br />
wissenschaftliche Umwälzungen in immer rascherer Folge unser<br />
Leben beeinflussen. Diese Tendenzen, die unter dem Terminus „wissenschaftlich-technische<br />
Revolution" in das Begriffsarsenal der modernen<br />
Wissenschaft Einzug hält, zwingt den Menschen zur Vorausschau,<br />
zur Planung, soll die Menschheit nicht einem Chaos zusteuern<br />
(Stunden, 101).<br />
Auf diese Entscheidungen, die bereits heute getroffen werden<br />
müßten, wenn nicht Bevölkerungszuwachs, Raumnot, Lärm, das<br />
allmähliche Verschwinden der ursprünglichen Natur, Unwissenheit<br />
und falsche Bildung als „ungeladene Gäste" den 40 000 Stunden zuvorkommen<br />
sollen, geht Fourastié im zweiten Abschnitt — „Neunzehnhundertfünfundachtzig"<br />
— ein. Aber offenbaren nicht diese negativen<br />
Tendenzen den Widerspruch, der zwischen der am Gemeinwohl<br />
orientierten volkswirtschaftlichen und jener primär am Gewinn<br />
orientierten „privatkapitalistischen" Rationalität, für die die<br />
Folgen für die Gesellschaft gleichgültig sind, besteht? Fourastié<br />
bleibt hierauf eine Antwort schuldig.<br />
Im Verlauf des Lebens einer einzigen Generation fand auf dem<br />
Gebiet von Wissenschaft und Technik ein Umschwung statt, wie ihn<br />
die menschliche Geschichte bisher nicht gekannt hat. „Die Menschheit<br />
hat Tausende von Jahren seit ihrer Entstehung in derselben<br />
Situation gelebt; heute geht diese Situation ihrem Ende entgegen.<br />
Zum erstenmal seit Bestehen der Menschheit befinden wir uns in<br />
einem Übergangsstadium, das unsere Wesensart und vielleicht unsere<br />
Existenz in Frage stellt" (Stunden, 200). Diese Wende zeigt sich<br />
sowohl in den wahrnehmbaren (den demographischen, geographischen,<br />
technischen, ökonomischen und biologischen) Realitäten des<br />
physischen Lebensrahmens als auch in unserer Kenntnis davon<br />
(Stunden, 200).<br />
Als Hauptergebnis dieser Wandlung sieht Fourastié den Fortschritt<br />
des Durchschnittsmenschen auf dem Wege zum vollen Einsatz<br />
seiner Fähigkeiten (Stunden, 221). Fourastié übersieht hier jedoch die<br />
Grenzen, welche die gesellschaftliche Realität einer vollen Entfaltung<br />
der menschlichen Fähigkeiten setzt. Nicht der Durchschnittsmensch<br />
setzt zwangsläufig dem Durchschnittsmenschen Grenzen<br />
(Stunden, 221), sondern primär resultieren diese aus der kapitalistischen<br />
Gesellschaftsstruktur mit ihren spezifischen Herrschaftsmechanismen.<br />
Solange diese fortbestehen, wird eben die Menschheit weiter<br />
wie bisher ihrem Instinkt folgen und nicht wie es Fourastié fordert,<br />
„nur mehr bewußt leben" (Stunden, 257). Aber gerade diese Bewußtheit<br />
ist in einer Zeit erforderlich, in der die Menschen nicht nur die<br />
Mittel ihrer Entwicklung beherrschen, sondern auch die Mittel ihrer<br />
Selbstzerstörung.<br />
Friedrich Röll (München)