Das Argument
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Fanons Lehre von (fer befreienden Gewßlt 419<br />
wenn er in den Worten des andern als Tier auftritt. Denn er weiß,<br />
daß er kein Tier ist. Und genau zur selben Zeit, da er seine Menschlichkeit<br />
entdeckt, beginnt er seine Waffen zu reinigen, um diese<br />
Menschlichkeit triumphieren zu lassen (33)."<br />
Als Unterdrückter richtet der Kolonisierte seine Aggressivität<br />
zunächst gegen seinesgleichen. Periodische blutige Explosionen in<br />
Stammesfehden, Cof-Kämpfen und Schlägereien sind kollektive<br />
Formen von Ersatzhandlung. „In den Stammesfehden leben die alten,<br />
in das kollektive Gedächtnis eingegangenen Ressentiments wieder<br />
auf. Der Kolonisierte stürzt sich mit Haut und Haaren in derartige<br />
Racheakte und will sich dadurch einreden, daß der Kolonialismus<br />
nicht existiere, daß alles so geblieben sei wie früher, daß seine Geschichte<br />
einfach weitergehe (42)." Die Kriminalität, die von den Psychologen<br />
der psychiatrischen Schule von Algier auf die besondere<br />
Gehirnstruktur und Anlage des Nervensystems des Nordafrikaners<br />
zurückgeführt wurde, ist in Wirklichkeit die Reaktion auf eine<br />
Atmosphäre der Unterdrückung, in der leben nicht mehr „Werte<br />
verkörpern" heißt, sondern lediglich: nicht sterben. Fanon liefert in<br />
einem Anhang eine vernichtende Kritik dieser Theorie der Kolonialprofessoren,<br />
die jahrzehntelang auf den Lehrstühlen für Psychiatrie<br />
in Algier vertreten wurde und jetzt zusammenbrechen muß, weil<br />
sie nicht mehr erklären kann, warum seit 1954, dem Beginn des Befreiungskampfes,<br />
ein fast vollständiges Verschwinden der Verbrechen<br />
registriert wird und vor allem: „In den schon befreiten Ländern<br />
des Maghreb bleibt... diese während der Befreiungskämpfe<br />
festgestellte Erscheinung bestehen und konsolidiert sich mit der Unabhängigkeit<br />
(236)." Die andere Art mit der ständigen Bedrohung<br />
fertig zu werden ist die Flucht in eine fatalistische, magische Religion,<br />
mit ihren Tänzen und ihrer „Besessenheit" als Entladung von<br />
Aggressivität.<br />
In dieser Situation gibt es nach Fanon nur ein Mittel, das wirklich<br />
helfen kann: den offenen, bewaffneten Kampf gegen den Kolonialherrn.<br />
Nur in diesem Kampf kann der Kolonisierte sich als Mensch<br />
wieder finden. Der Kampf gegen den Kolonialherrn ist seine „Arbeit",<br />
die ihn zum Menschen macht. Der Marxsche Arbeitsbegrifi<br />
bekommt hier eine andere Grundlage, jedoch kaum eine neue<br />
Bedeutung. Fanon geht damit — wenn auch unausgesprochen —, auf<br />
eine Erkenntnis von Hegel zurück, der die Selbstbestätigung des<br />
Menschen als konstitutive Bedingung des menschlichen Seins auch<br />
im Kampf des Menschen gegen seinesgleichen gegebep. sieht, diese<br />
Form allerdings verwirft, weil sie keine Dauer habe. Für Fanon<br />
stellt sie eine Übergangsform dar, die integrierend und bestätigend<br />
wirkt. „Arbeiten heißt, am Tod des Kolonialherrn arbeiten (66)."<br />
Durch diese „Arbeit" werden die subjektiven und objektiven Möglichkeiten<br />
einer neuen Nation geschaffen. Es entsteht eine neue<br />
integrierte Gesellschaft, die den Kampf gegen Elend, Analphabetentum<br />
und Unterentwicklung ermöglicht und deren einzelne Glieder<br />
ihren Minderwertigkeitskomplex und ihre kontemplative Haltung<br />
verwandelt haben in Aktivität.