Das Argument
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II. Soziologie 471<br />
Runciman, W. G,: Relative Deprivation and Social<br />
J u s t i c e. A Study of Attitudes to Social Inequality in Twentieth-<br />
Century England. Routledge and Kegan Paul, London 1966 (338 S.,<br />
40 s).<br />
Runciman, W. G.: Sozialwissenschaft und politische<br />
Theorie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1967 (200 S., kart.,<br />
10,— DM).<br />
Aus der Sozialgeschichte ist das Phänomen hinreichend bekannt:<br />
Unterklassen ertragen über lange Perioden ihr Schicksal, ohne dagegen<br />
zu rebellieren — selbst dort, wo die Privilegien der Herrschaft<br />
mit Händen zu greifen sind. Gesellschaftliche Ungleichheiten<br />
koinzidieren nur selten mit einem Bewußtsein, das ihnen angemessen<br />
ist. Dieses Paradox ist Gegenstand der Studie Runcimans. „Relative<br />
Deprivation and Social Justice" sucht Verbreitung und Intensität<br />
der Gefühle relativer Deprivation mit den Methoden der empirischen<br />
Sozialforschung zu ermitteln, sie mit den vorhandenen sozialen<br />
Unterschieden zu vergleichen und beides an den Normen der<br />
„sozialen Gerechtigkeit" zu messen. Soziale Ungleichheit wird gemäß<br />
dem in der soziologischen Theorie heute üblichen Verfahren<br />
nach den Dimensionen von „class", „status" und „power" kategorisiert.<br />
Den Begriff der relativen Deprivation konkretisiert und operationalisiert<br />
Runciman durch das Bezugsgruppen-Theorem: Erfahrung<br />
und Bewußtsein sozialer Ungleichheiten werden bestimmt<br />
durch die jeweils gewählte Bezugsgruppe, die die angestrebte Norm<br />
repräsentiert und Maßstäbe abgibt, an denen die Situation der<br />
Eigengruppe gemessen werden kann. <strong>Das</strong> empirische Material der<br />
Studie liefert eine Befragung in England und Wales im Frühjahr<br />
1962; das Sample der 1415 Befragten wurde aufgrund einer geschichteten<br />
Zufallsauswahl gewonnen. Der Analyse der Umfrageergebnisse<br />
ist ein sozialhistorischer Abschnitt vorangestellt, in dem Runciman<br />
an der innenpolitischen Entwicklung Englands seit 1918 — an<br />
Lohnbewegungen und Streiks, an der Politik der Regierungen, der<br />
Labour-Party und der Gewerkschaften, an Wahlresultaten und ihren<br />
Veränderungen — den Umfang und die Intensität des Bewußtseins<br />
von den gesellschaftlichen Ungleichheiten zu rekonstruieren versucht.<br />
Charakterisiert wird die Entwicklung durch das gestiegene<br />
Anspruchsniveau der Arbeitermassen am Ende der beiden Weltkriege.<br />
Die lange Kette von Arbeitskämpfen nach 1918 belegt dies<br />
ebenso wie der Wahlsieg der Labour-Party 1945. Runciman zufolge<br />
sind es eher enttäuschte Erwartungen, die Gefühle der relativen<br />
Deprivation entstehen lassen, als die Erfahrung der tatsächlichen<br />
Unterprivilegierung. Bestätigt wird dies auch durch das Verhalten<br />
der Arbeiter in den zwanziger und dreißiger Jahren; selbst die<br />
große Depression und langdauernde Arbeitslosigkeit änderten nichts<br />
an ihrer Passivität und Resignation. Nach dem zweiten Weltkrieg<br />
wurden die gestiegenen Erwartungen von der Wohlfahrtspolitik<br />
der Labour-Regierung aufgefangen, und die Hochkonjunktur der<br />
fünfziger Jahre mit hohen Beschäftigungsraten und steigendem