Das Argument
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376 Günther Anders<br />
werden können. Einen ,Zwischenfall' nannte man das Ereignis vermutlich,<br />
um damit zum Ausdruck zu bringen, daß da ein Mann so<br />
tief gefallen war, daß er zwischen den programmatischen sakralen<br />
Vorgängen als Christ auftrat statt als Kirchenbesucher.<br />
<strong>Das</strong> aber war nur der Anfang. Denn danach nahm der Kardinal<br />
selbst — es war der ehrwürdige Kardinal Döpfner — Stellung. Nicht<br />
zwar zu dem, was der unlegitimiert von der Kanzel predigende Laie<br />
gemeint hatte: also nicht zu dem Skandal des von Tag zu Tag sich<br />
steigernden Völkermordes in Vietnam. Sondern eben zu dem Zwischenfall',<br />
bzw. gegen diesen, also gegen den Skandal, daß jemand<br />
während des Gottesdienstes an diesen Skandal mahnte. Diesen<br />
nannte der Kardinal ,eine taktlose Störung, die wir gleich wieder<br />
vergessen wollen'. — Zwar war der Kardinal entgegenkommend genug,<br />
hinzuzufügen, daß der Taktlose mit dem Zwischenfall, den er<br />
verursacht habe, ,gewiß nichts Schlechtes gemeint' habe, außerdem,<br />
daß ,wir mit' der Kirche und dem ganzen leidgequälten Volk in Vietnam,<br />
im Südsudan und in anderen Missionsländern verbunden' seien,<br />
und daß ,die ganze Kirche, die ganze Christenheit, Trost und Gnade<br />
des Osterfestes erfahren möge' — aber gerade diese Kommentierung<br />
des Zwischenfalles' beweist doch leider, daß Kardinal Döpfner<br />
nicht eigentlich begriffen hat, was da vor sich gegangen ist. Denn<br />
1. Es ist unbegreiflich, wie jemand den verzweifelten Hinweis auf<br />
methodischen Genozid als eine Taktlosigkeit klassifizieren kann; tatsächlich<br />
ist, den Hinweis auf tägliches Morden als taktlos zu bezeichnen,<br />
viel deprimierender als jede Taktlosigkeit;<br />
2. Es ist unerlaubt, diesen Zwischenfall', wie es Kardinal Döpfner<br />
erbittet, zu .vergessen' — umgekehrt darf uns die Tatsache, daß<br />
der Mut zur Riskierung solcher Zwischenfälle noch nicht ausgestorben<br />
ist, mit Hoffnung erfüllen — und warum sollten wir diese Hoffnung<br />
vergessen?<br />
3. Es ist unzureichend, in einer Situation, in der man zwischen<br />
Mördern und Opfern zu wählen hat, die Versicherung abzugeben,<br />
daß man sich mit dem Volke, mehr noch mit der Kirche, der Opfer<br />
.verbunden fühle';<br />
4. Es ist unbegreiflich, warum es taktvoll sein soll, den ,gequälten<br />
Opfern', wie Kardinal Döpfner es tut, ,Trost' zu wünschen; taktlos<br />
dagegen, für eine Situation einzutreten, in der es trostbedürftige<br />
Opfer nicht mehr geben würde.<br />
*<br />
Nein, solange die Kirche sich darauf beschränkt, ihr Mitgefühl mit<br />
Opfern zu beteuern, ohne diejenigen, deren Opfer sie sind, zu identifizieren<br />
und unzweideutig als den Feind des Christentums zu bezeichnen,<br />
solange sind wir alle angewiesen auf jene Männer, die es<br />
riskieren, Zwischenfälle' hervorzurufen, also im Dom selbst vom<br />
Mord zu sprechen, und die Mörder beim Namen zu nennen.