Das Argument
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356 Günther Anders<br />
Dialektik der Größe<br />
Genauso naiv wie der Köhlerglaube, der Glaube der Zurückgebliebenen,<br />
ist der Ingenieursglaube, der Glaube der technisch blindlings<br />
Fortschreitenden. In den Umkreis dieses blinden Ingenieurglaubens<br />
gehört die Überzeugung, daß jede Apparatvergrößerung,<br />
mindestens jede Leistungsvergrößerüng eines Apparats, einen Fortschritt<br />
darstellen müsse. Neuestes Beispiel dafür die Tatsache, daß<br />
man den Brisanzkoeffizienten der Atombomben auch dann noch weiter<br />
steigerte, als die zur Verfügung stehenden Monstren bereits die<br />
Vernichtung jedes denkbaren Gegners sicherstellten.<br />
Seit ein paar Jahren scheinen nun freilich diese Naivlinge ihrer<br />
Sache nicht mehr ganz so sicher zu sein. Die Amerikaner haben<br />
nämlich erkennen müssen, daß es zu große Waffen gibt; und daß es<br />
gewisse Situationen gibt, die man gerade dann nicht meistern kann,<br />
wenn man zu stark ist; daß sie z. B. jene Aufgaben, die sie sich in<br />
Vietnam aufgeladen haben, gerade mit denjenigen Waffen, die ihre<br />
absolute Überlegenheit beweisen, nicht bewältigen können; daß sie<br />
umgekehrt versuchen und lernen müssen, zu regredieren: sich nämlich<br />
auf die Proportionen und auf die Methoden der ihnen Unterlegenen<br />
einzustellen. In der Tat müssen diejenigen, die heute Krieg<br />
führen, mindestens diejenigen, die heute gegen unterentwickelte<br />
Völker Krieg führen, das zenonische Paradox von Achilleus und der<br />
Schildkröte auf den Kopf stellen. Dem mit der Schildkröte um die<br />
Wette rennenden Achilleus passiert es sonst immer wieder, daß er<br />
die Schildkröte verfehlt, und zwar deshalb, weil er sie bereits im<br />
ersten Augenblick des Rennens überholt und dadurch intakt hinter<br />
sich läßt. —<br />
Eines Tages mußten die Amerikaner also einsehen, daß sie jene<br />
Waffen, die sie ursprünglich für allergrößte Zielobjekte, bzw. für<br />
die Zerstörung von allergrößten Zielobjekten, nämlich von Produktionsanlagen<br />
innerhalb höchst industrialisierter Staaten bestimmt<br />
hatten — daß sie diese Waffen gegen industriell zurückgebliebene<br />
Gegner überhaupt nicht einsetzen konnten; daß sie vielmehr zu<br />
versuchen hatten, sich an die Obsoletheit ihrer Gegner anzupassen.<br />
Ein trauriger Tag muß dieser Tag der Einsicht für die Amerikaner<br />
gewesen sein.<br />
Inzwischen gehört dieser traurige Tag der Einsicht allerdings auch<br />
schon der Vergangenheit an, es war möglich, ,to make the best of it'.<br />
Wenn es sich herausstellt, daß Waffen erforderlich sind, mit denen<br />
man obsoleten Gegnern angemessen begegnen kann, dann ist damit<br />
ja schließlich auch eine neue Produktionsaufgabe bezeichnet, und die<br />
Erfüllung dieser neuen Aufgabe stellt ja auch wieder neue Profite<br />
in Aussicht — kein Wunder also, daß es Firmen gibt, die sich enthusiastisch<br />
auf diese neuen Aufgaben konzentrieren. <strong>Das</strong> nächstliegende<br />
Beispiel ist natürlich die Konzentrierung der Industrie auf<br />
Hubschrauber, deren Rolle im zweiten Weltkriege, verglichen mit<br />
der heutigen, noch minimal gewësen war, und denen heute im<br />
Dschungelkampf Funktionen zufallen, die die zu großen jets niemals