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Das Argument

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476 •Besprechungen<br />

schließlich: sie verfährt dialektisch, um dem doppelten Aspekt der<br />

Geschichte als geschehendes Geschick und produzierende Handlung<br />

gerecht zu werden (463).<br />

Auch an anderer Stelle wird dieser Ansatz thematisch. Mit einer<br />

ausführlichen und sehr kenntnisreichen problemgeschichtlichen Einleitung<br />

des Herausgebers wird der Leser an die lange Tradition theoretischer<br />

Reflexion erinnert, die dem Phönomen gesellschaftlicher<br />

Veränderung und Entwicklung gilt. Da in gewisser Weise „alle Soziologie<br />

,Soziologie des sozialen Wandels'" (16) genannt werden<br />

könnte, ist dieser Überblick auch leicht eine kleine Geschichte der<br />

Soziologie zu nennen. Sowohl an den sozialdarwinistischen und sonstigen<br />

biologistischen Konzeptionen der Entwicklung seit Spencer<br />

und den Zyklentheorien mit ihrer Annahme unhistorischer, invarianter<br />

„Grund"bedürfnisse (Spengler, Toynbee) als auch an der<br />

funktionalistischen Schule und der nicht minder unhistorischen<br />

„Konflikttheorie des sozialen Wandels" (Coser, Dahrendorf) bewährt<br />

sich Dreitzels Kritik. Deutlich zeigt sie sich verpflichtet der „Philosophischen<br />

Anthropologie", welche aus „Skepsis gegenüber voreiligen<br />

Evolutions- und Forschungstheorien... zunächst einmal die Bedingungen<br />

der Möglichkeit menschlicher Geschichte und menschlicher<br />

Zivilisation zu prüfen" sich bemühe (90). In aufklärerischer Tradition<br />

steht die emphatische Forderung, daß der Mensch Herr der Geschichte<br />

erst noch zu werden habe: „Denn, erst dann wäre heute<br />

von Fortschritt zu sprechen, wenn die sozialen Entwicklungsprozesse<br />

ihre fortdauernde Naturwüchsigkeit verlieren und endgültig der<br />

menschlichen Selbstbestimmung unterstellt sein würden" (91).<br />

Dreitzel scheint nicht zu sehen, daß es zur Einlösung seiner Erwartung<br />

an die Soziologie erforderlich ist, daß sie sich an politisch-ökonomischen<br />

Analysen des geschmähten „Unterbaus" der Gesellschaft<br />

versuche, und daß von ihr die Bedingungen und Möglichkeiten zu<br />

reflektieren sind, die Erkenntnis in gesellschaftliche Praxis umzusetzen.<br />

Symptomatisch, aber gewiß nicht schlimm ist, daß Marx in<br />

der Textsammlung nur mit drei Seiten aus dem „Kapitel" vertreten<br />

ist. Ein entscheidender Mangel für ein Buch über sozialen Wandel<br />

und die Kategorie des Fortschritts jedoch ist, daß die in seiner Tradition<br />

stehenden Untersuchungen zur Entwicklung spätkapitalistischer<br />

Gesellschaft, zur Unterentwicklung der Dritten Welt und zum<br />

Zusammenhang beider völlig fehlen. Vorweg — in der Einleitung —<br />

werden der Klassenbegriff und die These vom Klassenkampf als<br />

einer wesentlichen Ursache des sozialen Wandels als überholt abgetan.<br />

Mehr oder weniger unkritisch übernommen sind die Thesen von<br />

der „Fundamentaldemokratisierung" (Mannheim) und von der Nivellierung<br />

durch gestiegenen Lebensstandard, von der „pluralistisch<br />

organisierten" und der .„offenen' Leistungsgesellschaft" sowie die<br />

von den „Bewußtseinsverspätungen der Arbeiterschaft" (44 f.). Nur<br />

am Rande findet sidi die Kategorie des sozialen Interesses. Die wichtige<br />

Frage nach dem Zusammenhang von Fortschritt und Interesse<br />

wird leider nicht diskutiert. Es ist, als spiegelte sich in den Mängeln<br />

des Buches die objektive Weltverfassung; zurecht wird nämlich kon-

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