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Literaturanalyse Integration in die Arbeitswelt durch Gleichstellung

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Pärli/Lichtenauer/Caplazi: <strong>Literaturanalyse</strong> „<strong>Integration</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Arbeitswelt</strong> <strong>durch</strong> <strong>Gleichstellung</strong>“ 19<br />

2.29 Auch <strong>in</strong> der Schweiz wird Invalidität als Ausdruck des eher klassischen<br />

Sozialfürsorgeansatzes und Beh<strong>in</strong>derung als eher am sozialen Model orientiert def<strong>in</strong>iert.<br />

Massgebend für <strong>die</strong> Leistungen der Sozialversicherung ist <strong>die</strong> im Bundesgesetz über den<br />

Allgeme<strong>in</strong>en Teil des Sozialversicherungsrecht (ATSG) festgelegte Def<strong>in</strong>ition. Art. 8<br />

ATSG lautet: „Invalidität ist <strong>die</strong> voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde<br />

ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit“. Die Erwerbsunfähigkeit ist <strong>in</strong> Art. 7 ATSG<br />

def<strong>in</strong>iert: „Erwerbsunfähigkeit ist der <strong>durch</strong> Bee<strong>in</strong>trächtigung der körperlichen, geistigen<br />

oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer E<strong>in</strong>gliederung<br />

verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem <strong>in</strong> Betracht<br />

kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt“. Der Begriff „Beh<strong>in</strong>derung“ f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der<br />

Liste der Diskrim<strong>in</strong>ierungsverbote <strong>in</strong> Art. 8 Abs. 2 BV. Auf Verfassungsstufe fehlt e<strong>in</strong>e<br />

Def<strong>in</strong>ition der Beh<strong>in</strong>derung im Kontext des Diskrim<strong>in</strong>ierungsverbotes. Art. 8 Abs. 4 BV<br />

enthält <strong>in</strong>des e<strong>in</strong>en Gesetzgebungsauftrag, konkret heisst es: „Das Gesetz sieht<br />

Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Beh<strong>in</strong>derten vor“. Mit dem<br />

Erlass des Bundesgesetzes über <strong>die</strong> <strong>Gleichstellung</strong> von Menschen mit Beh<strong>in</strong>derung<br />

(BehiG) ist der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Auftrag nachgekommen. Art. 2<br />

Abs. 1 BehiG def<strong>in</strong>iert „Mensch mit Beh<strong>in</strong>derung“ als „e<strong>in</strong>e Person, der es e<strong>in</strong>e<br />

voraussichtlich dauernde körperliche, geistige oder psychische Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />

erschwert oder verunmöglicht, alltägliche Verrichtungen vorzunehmen, soziale Kontakte<br />

zu pflegen, sich fortzubewegen, sich aus- und fortzubilden oder e<strong>in</strong>e Erwerbstätigkeit<br />

auszuüben.“ Der Beh<strong>in</strong>derungsbegriff im BehiG ist eng gefasst. Die körperliche, geistige<br />

oder psychische Bee<strong>in</strong>trächtigung muss voraussichtlich dauernd bee<strong>in</strong>trächtigt se<strong>in</strong>. Die<br />

Legaldef<strong>in</strong>ition sieht vor, dass <strong>die</strong> Bee<strong>in</strong>trächtigung u.a. <strong>die</strong> Ursache für <strong>die</strong> Erschwernis<br />

oder Unmöglichkeit darstellen muss, e<strong>in</strong>e Erwerbstätigkeit auszuüben.<br />

cc)<br />

Überw<strong>in</strong>dung der Gleichsetzung von Beh<strong>in</strong>derung mit Erwerbsunfähigkeit<br />

2.30 Vom Grundsatz her sollten Def<strong>in</strong>itionen von Beh<strong>in</strong>derung mit der sozialpolitischen<br />

Absicht e<strong>in</strong>er Massnahme übere<strong>in</strong>stimmen wie MASHAW und RENO festhalten. 70 D.h.<br />

beispielsweise, dass <strong>die</strong> Gewährung e<strong>in</strong>er Unterstützung bei grundlegenden<br />

Alltagshandlungen e<strong>in</strong>en Zusammenhang zwischen Gesundheitszustand und<br />

Bedürfnissen herstellt. Es zeigt sich jedoch, dass <strong>die</strong>s bei weitem nicht immer der Fall ist.<br />

In vielen Ländern wird dem Anspruch auf Unterstützung bei Alltagshandlungen<br />

beispielsweise nur dann stattgegeben, wenn auch <strong>die</strong> Erwerbstätigkeit e<strong>in</strong>geschränkt ist,<br />

wie <strong>die</strong> europäische Stu<strong>die</strong> über <strong>die</strong> Def<strong>in</strong>ition von Beh<strong>in</strong>derung herausarbeitet. E<strong>in</strong>e<br />

solche Def<strong>in</strong>ition impliziert e<strong>in</strong> Bild von Beh<strong>in</strong>derung, <strong>in</strong> dem von e<strong>in</strong>em<br />

Kausalzusammenhang zwischen gesundheitlicher Bee<strong>in</strong>trächtigung und<br />

Arbeitsunfähigkeit ausgegangen wird. 71 Gerade jedoch <strong>in</strong> Bezug auf <strong>die</strong>se Gleichsetzung<br />

von Beh<strong>in</strong>derung mit Erwerbsunfähigkeit wird e<strong>in</strong> radikales Umdenken gefordert. Diese<br />

Forderung, <strong>die</strong> von der Beh<strong>in</strong>dertenbewegung 72 seit Jahrzehnten <strong>in</strong>s Feld geführt wird,<br />

wird seit kurzem auch vehement von der OECD vertreten. In ihrer hier schon mehrfach<br />

zitierten Stu<strong>die</strong> von 2003, mit dem im englischen Orig<strong>in</strong>al bezeichnenden Namen<br />

„Transform<strong>in</strong>g Disability <strong>in</strong>to Ability“ befürwortet <strong>die</strong> OECD e<strong>in</strong>e Neudef<strong>in</strong>ition von<br />

Beh<strong>in</strong>derung, bei der <strong>die</strong> Beh<strong>in</strong>derung nicht automatisch als Erwerbsh<strong>in</strong>dernis gesehen<br />

werden soll. Gewährung von Geldleistungen sollen sich an der verbleibenden<br />

Arbeitsfähigkeit e<strong>in</strong>er Person orientieren und nicht mehr - wie traditionell - an den<br />

70 MASCHAW/RENO.<br />

71 EUROPÄISCHE KOMMISSION (Def<strong>in</strong>itionen), S. 39f.; OECD (Beh<strong>in</strong>dertenpolitik), S. 150.<br />

72 siehe OECD (Beh<strong>in</strong>dertenpolitik), S. 261.

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