Jahresschrift - Würzburger Dolmetscherschule
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Wie selbstverständlich sind<br />
Bilder?<br />
Und selbst wenn es früher vergleichsweise ruhig<br />
zuging: bereits unsere Urgroßeltern waren mehr<br />
Bildern ausgesetzt, als fast alle Generationen vor<br />
ihnen. Immerhin ist die Fotografie mehr als 150 Jahre<br />
alt, und schon im 19. Jahrhundert konnte, wer<br />
da wollte, sich Bilder in Galerien ansehen; Kunst<br />
schmückte zunehmend den öffentlichen Raum, und<br />
die kommerzielle Variante, das Plakat, hing fast<br />
überall. So war es, wie gesagt, zumindest in den<br />
Städten. Aber im Vergleich dazu war auf dem Land<br />
fast noch Mitttelalter.<br />
Bildlich gesprochen.<br />
Wenn wir versuchen, uns vorzustellen, wie der<br />
Mensch des Mittelalters - sagen wir, des dreizehnten<br />
Jahrhunderts - die Welt sah, müssen wir einige<br />
Anstrengungen unternehmen. Erst einmal müssen<br />
wir die ganze Bilderflut der Neuzeit völlig ausblenden.<br />
Bilder im Heim kannte man damals nicht.<br />
Punkt. Nicht auf dem Lande - da schon gar nicht -<br />
aber auch nicht in der Stadt, weder beim Handwerker<br />
noch beim Patrizier. Lediglich der Adel mochte<br />
das eine oder andere Gemälde in seinen zugigen<br />
Gemäuern hängen haben, der reiche Adel vielleicht<br />
sogar einen Gobelin mit Jagdszenen, aber das war<br />
es dann auch schon.<br />
Bleiben die Kirchen: hier vielleicht eine bemalte<br />
Altarwand, ein gemeißeltes Grabmal der örtlichen<br />
Raubritterfamilie, aber auch hier nicht viel mehr.<br />
Natürlich gibt es großartige Kunstwerke aus dem<br />
Mittelalter; gerade hier in Würzburg, der Wirkungsstätte<br />
von Tilman Riemenschneider, sind etliche<br />
zu bewundern. Aber die waren die großen<br />
Ausnahmen, einzigartig, weil sie so rar waren und<br />
großartig, weil sie ohne Beispiel sind.<br />
Und wie sah der Mensch von<br />
damals seine Welt?<br />
Wahrscheinlich viel direkter, unmittelbarer als wir.<br />
Wenn man davon ausgeht,<br />
dass jedes wie auch<br />
immer geartete Bild dem<br />
Menschen etwas sagt,<br />
sei es durch die Wahl<br />
des Ausschnitts, durch<br />
das, was es zeigt und<br />
was nicht, mit welchen<br />
Mitteln und in welcher<br />
Stilisierung, dann war<br />
eine solche Art der Welt-<br />
Interpretation dem mittelalterlichen<br />
Menschen<br />
fremd. Was über das<br />
unmittelbare Erleben hinausging,<br />
war entweder<br />
der Bericht anderer oder<br />
die Predigt des Geistlichen<br />
in der Kirche: die<br />
Kirche sprach per definitionem<br />
die Wahrheit, und der Gläubige zweifelte<br />
nicht. Nicht an den ewigen Wahrheiten, an ein Le-