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Castaneda_Eine_andere_Wirklichkeit - WordPress.com

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Kindheit traurig?« fragte er mit ernstem Gesicht.Ich sagte ihm, daß meine Kindheit nicht wirklich traurig gewesen war, sondernvielleicht ein wenig schwierig.»Jeder empfindet das so«, sagte er und sah mich wieder an.»Auch ich war unglücklich und hatte Angst, als ich ein Kind war. Ein Indianerkind zusein ist schwer, sehr schwer. Aber die Erinnerung an diese Zeit bedeutet mir nichtsmehr, nur daß sie schwer war. Schon bevor ich sehen lernte, habe ich aufgehört,über die Härte meines Lebens nachzudenken.«»Auch ich denke nicht über meine Kindheit nach«, sagte ich.»Warum macht sie dich dann traurig? Warum möchtest du weinen?«»Ich weiß nicht. Wenn ich an mich als Kind denke, dann tut es mir um mich und allemeine Mitmenschen leid. Ich fühle mich hilflos und traurig.«Er fixierte mich mit den Augen, und wieder registrierte ich in der Gegend desUnterleibs dieses unheimliche Gefühl, von zwei Fingern sanft gekniffen zu werden.Ich wandte die Augen ab und schaute dann wieder zu ihm hin. Er blickte in die Ferne,an mir vorbei. Seine Augen waren verschleiert und auf keinen festen Punkt gerichtet.»Es war ein Versprechen aus deiner Kindheit«, sagte er nach längerem Schweigen.»Was habe ich versprochen?«Er antwortete nicht. Seine Augen waren geschlossen. Ich lächelte unwillkürlich. Ichwußte, daß er sich aufs Geratewohl vortastete; immerhin hatte meine ursprünglicheAbsicht, ihn auf den Arm zu nehmen, etwas nachgelassen. »Ich war ein mageresKind«, fuhr er fort, »und ich hatte immer Angst.« »Genau wie ich«, sagte ich.»Woran ich mich am besten erinnern kann, sind der Schrecken und die Traurigkeit,die mich befielen, als die mexikanischen Soldaten meine Mutter töteten«, sagte erleise, als schmerzte ihn die Erinnerung noch immer. »Sie war eine arme,verschüchterte Indianerin. Vielleicht war es besser, daß ihr Leben damals zu Endeging. Ich wollte mit ihr zusammen getötet werden, weil ich ein Kind war. Aber dieSoldaten packten mich und schlugen mich. Als ich mich am Körper meiner Mutterfesthielt, schlugen sie mir mit einer Reitpeitsche auf die Hände und brachen meineFinger. Ich spürte keinen Schmerz, aber ich konnte mich nicht mehr festhalten, undso schleppten sie mich fort.«Er hörte auf zu sprechen. Seine Augen waren immer noch geschlossen, und ichentdeckte auf seinen Lippen ein ganz leichtes Zittern. <strong>Eine</strong> tiefe Traurigkeit ergriffmich. Bilder aus meiner eigenen Kindheit zogen an meinem inneren Auge vorbei.Seite 118

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