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Castaneda_Eine_andere_Wirklichkeit - WordPress.com

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»Wie alt warst du damals, Don Juan?« fragte ich, nur um meine Traurigkeit zuverscheuchen.»Etwa sieben. Es war die Zeit der großen Yaqui-Kriege. Die mexikanischen Soldatenüberfielen uns, wir wurden überrascht, meine Mutter kochte gerade Essen. Sie wareine hilflose Frau. Sie töteten sie ohne jeden Grund. Es macht eigentlich keinenUnterschied, daß sie auf diese Weise starb, nicht wirklich, für mich allerdings doch.Ich kann selbst nicht sagen, warum; es ist einfach so. Ich glaubte, daß sie auchmeinen Vater getötet hätten, aber das stimmte nicht. Er war verwundet. Spätersteckten sie uns wie Vieh in einen Güterzug und schlossen die Türen. Tagelanghielten sie uns dort wie Tiere im Dunkeln eingesperrt. Wir hielten uns mit demwenigen am Leben, das sie uns von Zeit zu Zeit in den Waggon warfen. Mein Vaterstarb in diesem Waggon an seinen Wunden. Vor Schmerzen und Fieber kam er insDelirium und sagte mir immer wieder, ich müsse am Leben bleiben. Das sagte er mirimmer wieder, bis zum letzten Augenblick seines Lebens. Die Leute nahmen sichmeiner an; sie gaben mir zu essen; eine alte Heilpraktikerin richtete die gebrochenenKnochen meiner Hand. Und wie du siehst, lebe ich noch. Das Leben ist weder gutnoch schlecht zu mir gewesen; das Leben war schwer. Das Leben ist schwer, und fürein Kind ist es manchmal das reine Grauen.«Sehr lange sprachen wir kein Wort. Vielleicht eine Stunde verstrich in völligemSchweigen. Ich hatte sehr verwirrende Gefühle. Ich war irgendwie niedergeschlagen,und doch konnte ich nicht sagen warum. Ich hatte irgendwie ein schlechtesGewissen. Gerade noch hatte ich nur mit Don Juan einen Spaß machen wollen, dochplötzlich hatte er mit dieser direkten Erzählung das Blatt gewendet. Sie war einfachund bündig gewesen, und sie hatte ein seltsames Gefühl in mir hervorgerufen. DieVorstellung von einem gequälten oder sich quälenden Kind hatte für mich immerschon etwas Erschreckendes. Gleich darauf schlug mein Mitgefühl für Don Juan inEkel gegen mich selbst um. Ich hatte tatsächlich mitgeschrieben, als sei Don JuansLeben lediglich ein klinischer Fall. Ich war nahe daran, meine Notizen zu zerreißen,als Don Juan mich mit den Zehenspitzen gegen die Wade stieß, um meineAufmerksamkeit wachzurufen. Er sagte, daß er mich von einem Leuchten derGewalttätigkeit umgeben sähe und sich fragte, ob ich mich im nächsten Moment aufihn stürzen wollte. Sein Lachen war eine freundliche Unterbrechung. Er sagte, daßich zu Gewaltausbrüchen neige, daß ich jedoch nicht wirklich bösartig sei und dieGewalttätigkeit meistens gegen mich selbst richtete.Seite 119

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