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Einhornjagd und Grillenfang.pdf - PoCul-Verlag

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Carona quillt über vor Besitzerstolz <strong>und</strong> Unternehmungslust. Höhenkoller, Größenwahn!<br />

Paßt du da überhaupt rein? frage ich, nicht einmal das scheint sie krumm zu<br />

nehmen.<br />

Schüsseln in Erfurt<br />

Schüsseln in Erfurt: soll ich ablichten als Fotosequenz, rät J. mit einem Kopfschnippen<br />

zur Rolleiflex. Wie wärs mit einem Kataster? An den räudigsten<br />

Bruchbuden hängen die Satellitenantennen, ins ausgewaschene Backsteingefüge<br />

gedübelt, ragen über Müllkübel <strong>und</strong> Bröckelkamine, thronen auf löchrigem<br />

Wellblech.<br />

J. hat eine Schüssel am Fenster eines Anbaus entdeckt, leiht sich die Kamera,<br />

erklettert mangels Teleobjektiv eine Mülltonne, um über die Hofmauer hinweg zu<br />

dokumentieren: die Telos-Antennen für den fern-richtigen Lebensersatz. Beim<br />

Herunterspringen gleicht er mit Schiebermütze, Zigarette <strong>und</strong> abgewetzter Jacke<br />

Peter Rühmkorf auf dem Titelbild von »Volksvermögen«. Dieses Ambiente wird<br />

aus Spaß noch einmal nachgestellt.<br />

Am Fischmarkt<br />

steht das Rathaus. Gegenüber das Gildehaus, ein gutbürgerliches dunkles Hallenlokal.<br />

Wir erhalten anstandslos (Nå - thüringisch für: Ja, na klar!) um 15.30 ein<br />

Mittagessen. Die Toiletten sind erst vor kurzem aus dem Westen herangeschafft<br />

worden - von der Schüssel bis zum Siemens-Handtrockengebläse. Den Dank samt<br />

Rechnung rattert der Nadeldrucker auf eine blütenweiße Karte. So ists Standard, so<br />

ist mans gewohnt. Hat wer eigentlich schon Diplomarbeiten vergeben Ȇber den<br />

Einfluß von 9- <strong>und</strong> 24-Nadel-Druckern auf die Alltagsästhetik unter besonderer<br />

Berücksichtigung akustischer <strong>und</strong> semiotischer Aspekte«? Wird Zeit.<br />

Auf der Krämerbrücke<br />

Im Brückengewölbe-Kellercafé mit teuren Kronleuchtern, in dem man nicht<br />

rauchen darf wegen den Teppichen <strong>und</strong> Gemälden, trinken wir eine Tasse<br />

»Trinkschok.« für 2,50 DM. 900 Mark verdient J. im Monat, 20 Mark zahlt er für<br />

die Miete. Bei mir siehts ähnlich aus: 2000 netto, 700 Miete, 270 Zugfahrt (wg. Arbeitslosigkeit<br />

im Saarland). Aber er muß doppelt so lange arbeiten, das ist der<br />

Unterschied, klar.<br />

In Venedig<br />

Was für ein Vergleich - das rostige Straßenschild sagt: Venedig! Ein poetischer<br />

Paukenschlag, eine Exotikmetapher, verdammt weit hergeholt, eine blecherne<br />

Brücke in den Süden, die nicht mehr trägt. Wie hat es hier ausgesehen, als dieser<br />

Name gepaßt haben mochte? (Er steht nicht im Bahlow.) Und so heute: Wasser, ein<br />

Flüßchen? - ah, das ist die Gera, Weiden immerhin, aber kahle Erde, Planierraupen<br />

haben Gestrüpp wegrasiert, eine Niederlassung von Müll & Bauschutt, die lange<br />

verstorbene Gastwirtschaft zwischen alten Kastanien, trotzdem fangen sie gerade an<br />

Blätter zu treiben. Gegenüber lungert ein soeben aufs platte Ufer gehauener Saubau<br />

von Wohnblock, hochmütig, obwohl erst vor kurzem der Zementbütte entwachsen.<br />

KLAUS BEHRINGER 150

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