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Einhornjagd und Grillenfang.pdf - PoCul-Verlag

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gehört auch, daß Frauen nicht alles gleich ausbeuten. Läuft denn das Band<br />

noch?<br />

Ja, das wird noch viel Arbeit, das alles zu verschriften.<br />

Im Gr<strong>und</strong>e ist das ein Rückfall, was ihr macht. Ein Rückfall in die Schriftlichkeit.<br />

Ich bin eigentlich ein Gegner der Schriftlichkeit. Was ist ein kultischer<br />

Augenblick? Das ist der Augenblick, wenn es stattfindet, wenn der<br />

Eros stattfindet, wenn es gelingt. Das ist auch die Vorstellung der Götter:<br />

wenn es kommt, wenn es dir in den Kopf kommt. Sokrates war gegen das<br />

Aufschreiben. Vielleicht konnte er ja auch gar nicht schreiben, war ein Analphabet?<br />

Wenn wir nicht schreiben <strong>und</strong> lesen würden, dann ginge das alles<br />

verloren.<br />

Dies ist ein alter Streit. Sokrates redet über den Theuth, den ägyptischen<br />

Gott, der die Schrift erf<strong>und</strong>en hat. Der Gesprächspartner sagt, daß es<br />

seitdem Gedächtnis gibt, aber Sokrates erwidert: Ja, klingt gut, aber<br />

vielleicht ist dadurch das Gedächtnis gerade verlorengegangen. Man<br />

schreibt alles auf, man hat Archive, Historiker. Aber wo ist das Gedächtnis?<br />

In Koblenz, im B<strong>und</strong>esarchiv. Es muß aber im Kopf sein, das Gedächtnis.<br />

Die Mythenüberlieferung war eben eine solche kollektive<br />

Gedächtnisleistung, auch spezialisiert auf Mythenerzähler,<br />

Tragödiendichter, Priester, <strong>und</strong> man hat das denen nachgesprochen. Und<br />

das geht wohl sehr lange zurück - glaubst du nicht?<br />

Ich glaube nicht, daß das Rückverfolgen überhaupt ohne schriftliche<br />

Quellen möglich wäre. Wenn du die alten Griechen nicht mehr lesen<br />

könntest, könnten wir dieses ganze Gespräch nicht führen. Die<br />

Geschichte des Mythos wäre tatsächlich verloren gegangen, für sie gibt<br />

es keine Begriffe mehr. Seine Geschichte wäre uns aber nicht wichtig,<br />

wenn wir eins mit dem Mythos wären. Wenn der Mythos anwesend ist,<br />

brauchst du keine Literatur.<br />

Für uns ist der Mythos im Gr<strong>und</strong>e ein Gesprächsgegenstand. Wir<br />

zelebrieren ihn ja nicht, das tut nur noch die katholische Kirche, in ihren<br />

Riten, z.B. Brot <strong>und</strong> Wein, mein Leib <strong>und</strong> Blut - da wird immer noch<br />

geschlachtet <strong>und</strong> geopfert.<br />

Ein Relikt des Menschenopfers. - Literatur ist etwas Sek<strong>und</strong>äres, nämlich<br />

ein Bewußtsein über den Mythos. Darauf scheinen wir nicht verzichten zu<br />

können. Deswegen brauchen wir auch das Schreiben <strong>und</strong> nicht nur das<br />

Reden. Das nur als Rechtfertigung, Arnfrid, warum wir (dir) 4 das alles<br />

verschriften.<br />

SURFLÜGE 176

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