Einhornjagd und Grillenfang.pdf - PoCul-Verlag
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Geschichten - was sind Symbole, was vertritt was, was habe ich weshalb<br />
gern <strong>und</strong> weiß es nicht? - wirken stark fort. Das Einhorn ist sogar ein Bock.<br />
Wir kennen das Einhorn als Pferd, aber wenn man genau hinschaut auf den<br />
Gobelins, dann sind es Ziegenböcke, mit gespaltenem Huf <strong>und</strong> Bocksbart.<br />
Was ist das für eine Sublimierung, wenn das Horn aus der Mitte der Stirn<br />
kommt? Was ist das für eine phallische Ideenbildung? Kopfzeugung oder so<br />
was. Es stimmt nicht, wenn die Leute sagen, damit haben wir nichts mehr<br />
zu tun. Erstens hat man in den Trivialformen damit zu tun, mit den<br />
heruntergekommenen Staubsaugern oder Spirituskochern, die Prometheus<br />
heißen. Die Firmennamen machen es längst, in wilhelminischer Zeit schon.<br />
Meine Überzeugung ist, es wirkt auch auf den, der es nicht weiß. Das ist<br />
nicht einfach nur eine Blumenliebe, weil man Botaniker ist, sondern dieses<br />
Wesen wirkt ganz elementar animalisch. Die Blüte wirkt unbewußt als ein<br />
sexuelles Wesen. Aber es gehört dazu, es nicht zu wissen.<br />
Handelt es sich dabei um Verdrängung, Tabuisierung?<br />
Die Mythifizierung ist ein Akt der Verdrängung. Zum Beispiel der Mythos<br />
von der Verwandlung der Nymphe Daphne in einen Lorbeerbaum<br />
verdrängt, daß Apoll ein Vergewaltiger, ein Triebtäter <strong>und</strong> Tötungsgott war.<br />
Die ganze Ästhetisierung zu Apoll als einem Gott der Dichter, der Musik ist<br />
eine späte Sache. Es liegt dem ein verschwiegenes Triebverbrechen<br />
zugr<strong>und</strong>e. Wo die Daphne war, die vergewaltigte <strong>und</strong> wahrscheinlich<br />
getötete Nymphe, die auch keine Nymphe war, sondern eine junge Frau im<br />
Nebel ... die ist weg. Was steht da? Ein Lorbeerbaum. Es ist in Wirklichkeit<br />
eine Welt, wo ein Mensch fehlt. Über den Lorbeerbaum sprechen wir durch<br />
die Blume, durch die Pflanze, von diesem Verbrechen, der Triebhaftigkeit<br />
<strong>und</strong> diesen elementaren verbotenen Dingen. Und die Dichter lassen sich<br />
einen Lorbeerkranz ins Haar setzen <strong>und</strong> wissen nicht, was los ist. Das ist so,<br />
wie wenn ich dich (zu Angela) erbeutet hätte, dir eine Feder ausziehe <strong>und</strong><br />
mir an den Hut stecke. Die ganzen griechischen Mythen sind verschlüsselte<br />
Erzählungen der Ablösung des Matriarchats durch das Patriarchat. Zum<br />
Beispiel: Das Frauenorakel in Delphi ist von Apoll erobert worden. Apoll<br />
hat die Schlange getötet. Die süßen Frauen sind natürlich Schlangen <strong>und</strong><br />
Drachen, die man bekämpfen muß. Erst muß man sie vergewaltigen <strong>und</strong><br />
dann töten, damit es nicht rauskommt. Und dann irgendwie wird ein neues<br />
Heiligtum gegründet. Damit es nicht so auffällt, sind dann wenigstens<br />
medial Frauen als im Nebeldampf Orakelsprüche lallende Wesen<br />
zugelassen. Das ist die Gr<strong>und</strong>auffassung von Ranke-Graves. Das<br />
Frauenopfer ist nach wie vor noch stark verbreitet, auch bei den Dichtern -<br />
die Frauen, die für ihre Männer Sekretärinnen <strong>und</strong> Tippsen sind.<br />
Frauen scheinen häufiger - anstatt Dichter zu werden - ihre Kraft nicht in<br />
die Eigenproduktion, sondern in die Arbeit eines anderen zu stecken,<br />
indem sie raten, unterstützen.<br />
Oder auch in die Produktion eines neuen Menschen, eines Kindes. Wir können<br />
ja auch mal verdachtsweise annehmen, die Frauen seien die<br />
entfalteteren Menschen, die dieses Substitut ihrer Entfaltung als<br />
Kunstprodukt nicht nötig haben. Wir Männer haben es nötiger, weil wir von<br />
dieser Form menschlicher Entfaltung oder Erfüllung entfernter sind. Dazu<br />
SURFLÜGE 175