Einhornjagd und Grillenfang.pdf - PoCul-Verlag
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gewisse Enttäuschung, daß die Literaturgattung, die ich selber ausübe, diese<br />
Vorliebe für Gegenständlichkeit <strong>und</strong> Sinnlichkeit in einem kurzen, überschaubaren<br />
Text, dem Epigramm ... daß ich wenig Leute getroffen habe, die<br />
das mit dem gleichen Interesse betreiben. Ich sehe mich als Vertreter einer<br />
aussterbenden archaischen Literaturausübung. In der Entwicklung der Ideen<br />
seid ihr meine Hebammen, durchaus, im Reden aus dem Augenblick, wie<br />
jetzt auch. In der Produktion <strong>und</strong> Geburt, um bei dem Wort Hebamme zu<br />
bleiben, meiner eigenen Kinder relativ wenig. Auch anderen konnte ich bei<br />
der Geburt nicht so richtig helfen, nicht initiieren. Deshalb gab es ja auch<br />
keine Aufgaben. Meistens sind die Sachen schon geboren, <strong>und</strong> man<br />
versucht dann, das Kind zu baden. Aber beim Geburtsvorgang selbst ist<br />
man in der Regel nicht dabei. Das ist doch ein ziemlich einsames Geschäft.<br />
Da gibt es wenig Leute, die sich zusammensetzen. Es gab so was zwischen<br />
Helge <strong>und</strong> Olivia. Die sollen einmal zwei oder drei Nächte oder anderthalbe<br />
so oder so verbracht haben, jedenfalls kam am Schluß ein Kind heraus,<br />
nämlich eine Erzählung.<br />
Hast du mit dem Seminar auch didaktische Ambitionen?<br />
Natürlich. Dieses erotische Prinzip ist auch ein pädagogisches. Das weiß<br />
doch jeder. Man bringt Leuten, die man nicht liebt, nix bei <strong>und</strong> lernt von<br />
denen auch nix. Von einem Lehrer, den man nicht in irgendeiner Weise<br />
liebt, kann man nichts annehmen. An der Universität ist eine große Frustration,<br />
weil dieses Prinzip durch allerlei akademische Angst <strong>und</strong> Karrierismus<br />
vertrieben ist. Das eigentliche Lustprinzip der Erkenntnis, der Philologie,<br />
der Beschäftigung mit Sprache, mit Künsten usw. - man darf es ja eigentlich<br />
nicht zugeben, weshalb man das treibt.<br />
Fast alle Teilnehmer sagen, daß dieses Seminar die erotische Oase<br />
gewissermaßen ist ...<br />
In einer Wüste! Für mich war auch die Universität weitgehend eine Wüste.<br />
Und sie maßt sich an, auf die alte Akademie aufzubauen! Wo die Leute spazierengehend<br />
sich unterhalten haben <strong>und</strong> noch nicht einmal aufgeschrieben<br />
haben. Und auch kein Geld genommen haben.<br />
So wie du.<br />
Ich würde es sogar nehmen, aber ich habe keins gekriegt. Aber es ist mir<br />
vollkommen scheißegal. Es geht mir nicht ums Geld. Ich bin ein bezahlter<br />
Redakteur <strong>und</strong> spare auf keinen Rolls Royce. Natürlich war auch eine<br />
gewisse Nützlichkeit damit verb<strong>und</strong>en. Das hat für mich die Ausrede<br />
geschaffen <strong>und</strong> die Veruntreuung von Radiozeit rationalisiert, daß ich<br />
immer wieder - ich hoffe zum gegenseitigen Nutzen - Leute ins Programm<br />
gebracht habe, wofür sie Geld gekriegt haben, <strong>und</strong> wodurch ihr Produkt<br />
öffentlich vernehmbar <strong>und</strong> wieder kommunizierbar wurde, wieder innerhalb<br />
eines Gesprächs. Die Gespräche des Seminars gingen im R<strong>und</strong>funk weiter.<br />
Wie groß ist denn die Ambition, als Redakteur ins Seminar zu gehen? Ist<br />
es sehr präsent, daß du denkst: Da muß ich noch eine Sendung füllen ...<br />
Nein, eigentlich nicht. Es kommt so zustande: Wenn man noch in der Faszination<br />
eines Teilnehmers ist, dessen Text man gerade gehört hat, fällt er<br />
einem vor anderen zu lesenden Literaturen ein, die noch auf dem Schreibtisch<br />
liegen, ungelesen.<br />
SURFLÜGE 166