Einhornjagd und Grillenfang.pdf - PoCul-Verlag
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Ich denke schon. Ich meine, so isoliert hat das was Obszönes. Das sind<br />
Dinge, über die man eigentlich nicht spricht. Alle denken dann, das ist ein<br />
Päderastenseminar, oder ein Bordell oder sonstwas. Es hat sich auch an mir<br />
in irgendeiner Weise gerächt, als plötzlich Frauen auftauchten, die für den<br />
Telefonsex gearbeitet haben. Es waren ja nicht nur eine oder zwei oder drei<br />
... Fünf.<br />
... oder fünf schließlich! Und die haben auch gegenseitig dort ihre Mitarbeiterinnen<br />
rekrutiert. Und da habe ich gedacht: Sind wir so weit heruntergekommen?<br />
D a s habe ich nicht gemeint - <strong>und</strong> hatte zunächst eine starke<br />
moralische Abneigung, weil ich dachte: Die Literatur basiert zwar auf<br />
einem erotischen <strong>und</strong> narzißtischen Prinzip, aber sie ist keine Prostitution.<br />
Ich dachte, es ist ein Erkenntnisprinzip <strong>und</strong> nicht ein Bezugs...<br />
Betrugsprinzip. Das ist natürlich die alte aristotelische Theorie, daß die<br />
Dichter lügen <strong>und</strong> sozusagen betrügen <strong>und</strong> eine Betrugswelt fiktiv erstellen.<br />
So wie die Telefonsexfrau oder der Telefonsexmann - ich weiß nicht, ob es<br />
das auch gibt - Liebe simuliert bei frustrierten Männern <strong>und</strong> Wichsern usw.,<br />
die nicht geliebt werden <strong>und</strong> deshalb da anrufen. Es hängt extrem mit der<br />
Literatur zusammen, aber es ist der Kontrapunkt <strong>und</strong> eigentlich das<br />
Gegenteil. Ich merkte aber durch diese komische Entwicklung, daß das<br />
etwas miteinander zu tun hat. Ungern habe ich das gemerkt. Ich habe dann<br />
diese Frauen doch ernst genommen, aber auch gemerkt, daß wenigstens<br />
eine oder zwei auch gelegentlich was von Literatur verstehen, daß sie dem<br />
Literaturpunkt nahe gekommen sind. Ich hatte immer gesagt: Ich bin gegen<br />
das, was ihr macht. - Sollen wir putzen gehen? ist dann die Antwort, wenn<br />
man ihnen moralisch kommt. Und ich habe gesagt, die Moral ist immer nur<br />
dann, wenn sie materielle oder existentielle Auswirkungen hat, etwas wert.<br />
Es ist sehr gefährlich, euer Gewerbe. Zwei Gefahren: Erstens verderbt ihr<br />
euch die eigene physische Liebesfähigkeit. Ich wünsche euch also <strong>und</strong><br />
drohe es euch auch an zur Abschreckung: Daß euch der eigene Schoß<br />
verdorren möge! sehr prophetisch gesprochen. Zweitens wünsche ich <strong>und</strong><br />
befürchte <strong>und</strong> drohe es euch auch an, daß euch die Literatur versiegt! Weil<br />
ihr nämlich einem Gegenprinzip huldigt, einen Literaturverrat <strong>und</strong> einen<br />
Liebesverrat begeht.<br />
Könntest du den Unterschied zwischen Literatur <strong>und</strong> Gewerbe auf den<br />
Punkt bringen? Was ist gemeinsam, was ist gegensätzlich?<br />
Ich hoffe, es gibt gar nichts Gemeinsames. Ich merke aber am Zerrspiegel,<br />
daß es doch etwas Gemeinsames gibt. Für mich ist die Literatur ein<br />
Erkenntnisprinzip, das heißt eine Methode, die Wahrnehmung über ihren<br />
Augenblick hinaus haltbar <strong>und</strong> kommunizierbar zu machen. Da die<br />
Wahrnehmung schlechthin mit der Liebe zu tun hat, - ich denke, daß<br />
Erkennen, Wahrnehmen mit den Sinnen ein erotisches Prinzip ist! - wäre<br />
ich von nichts fasziniert, von keinem Gegenstand <strong>und</strong> keinem Menschen<br />
<strong>und</strong> von keiner Naturerscheinung, wenn es mich nicht in irgendeiner Weise<br />
wie Liebe ergreifen würde. Die Alten hatten dafür ihre Bilder: die<br />
Beflügelung des Eros, die Beflügelung überhaupt des Genius usw.<br />
SURFLÜGE 163