Einhornjagd und Grillenfang.pdf - PoCul-Verlag
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Ja. Ich verspreche mich jetzt noch manchmal, wenn ich mich verabschiede<br />
im R<strong>und</strong>funk: Ich muß jetzt ins Seminar. - Ja? Was machst du denn für ein<br />
Seminar? - Ja ich mach da so ein Seminar für schreibende Gefangene, sage<br />
ich aus Versehen. Ihr seid sozusagen die Gefangenen der Universität, <strong>und</strong><br />
die anderen waren Jugendliche in der Strafanstalt Ottweiler. Das ging<br />
natürlich damals noch mit diesem populären Irrtum einher, jeder sei ein<br />
Schriftsteller - den ich auch fleißig mitverbreitet habe ...<br />
Und noch weiter verbreitest.<br />
Aber immer mit dem Zusatz: Nicht unter Umgehung des Gehirns. Ich sage<br />
auch dazu immer den Satz, daß wir sozusagen ursprünglich genial seien,<br />
daß wir nicht im Verlauf unseres Lebens genialer werden, sondern<br />
primitiver werden <strong>und</strong> die kindliche Genialität verspielen. Also in dem<br />
Sinne, daß jeder geborene Mensch ein Genie ist, wenn man ihn vergleicht<br />
mit dem Idioten, als der er später mal zu Grabe getragen werden wird. Und<br />
insofern gilt natürlich auch, daß eine kriminelle Energie von Jugendlichen<br />
ansprechbar <strong>und</strong> sozialisierbar ist, indem man anregt, über die eigenen<br />
Verhältnisse zu schreiben, z.B. über den Knast, über die Wärter, über die<br />
Vorgeschichte, über das Elternhaus, die Einbrüche. Die wollten gern, daß<br />
wir da reingehen <strong>und</strong> Literatur treiben, aber die Anstaltsleitung hatte einen<br />
Wunsch: Nicht über die Anstalt schreiben! Nicht über die Wärter, nicht<br />
über den Direktor. Das haben wir natürlich umgangen. Das ist einem<br />
Menschen überhaupt nicht zumutbar, nicht über das zu schreiben, was ihn<br />
am meisten beschäftigt. Natürlich muß er darüber schreiben. Übrigens ist<br />
Jochen Senf mit dahingegangen, abwechselnd, einmal er, einmal ich. Die<br />
haben mal irgendein Gespräch über Drogen geführt, was natürlich ein<br />
wichtiges Gespräch ist für jugendliche Kriminelle, <strong>und</strong> Jochen Senf hat<br />
gesagt: Das Haschisch ist ein liebes Haustier, das sollte man nicht mit dem<br />
Heroin spielen lassen <strong>und</strong> nicht die Gefährlichkeit von anderen harten<br />
Drogen auf Haschisch übertragen. Dann hat man das Seminar gekippt, weil<br />
wir nicht geeignet seien, zur Resozialisierung jugendlicher Straftäter<br />
beizutragen. Die Drogensache ist ja immer sehr praktisch, man schiebt<br />
einem ein Päckchen Pulver in den Schuh <strong>und</strong> schon ist man aus der Welt.<br />
Später, unter der SPD-Regierung hätten wir da sofort wieder reingehen<br />
können. Aber es wurde mir auch zuviel, <strong>und</strong> ich merkte, daß man den Hoffnungen,<br />
die man in den Gefangenen erweckt, nicht gerecht werden kann.<br />
Man wird sozusagen zu einer Art Retter, auf den sich die ganzen Hoffnungen,<br />
konzentrieren. Und die standen bei mir auf der Matte, wenn sie rausgekommen<br />
sind. Ich habe ihre Texte in einer großen zweistündigen R<strong>und</strong>funksendung<br />
gebracht, <strong>und</strong> außerdem sind diese Texte veröffentlicht in<br />
einer Literaturzeitung, wo sie gar nicht hingehören, nämlich in den<br />
Akzenten 2.<br />
Zurück zu unserem Selber-Schreiben-<strong>und</strong>-Reden-Seminar, das du<br />
manchmal zumindest verbal noch damit verwechselst. Wie ist es denn<br />
dort mit den Lebenserwartungen, die man evtl. weckt <strong>und</strong> die sich später<br />
nicht erfüllen?<br />
Grob fahrlässig. Zum Beispiel dich, Klaus, habe ich vielleicht auf dem<br />
Gewissen. Du hättest mal besser Gymnasiallehrer bleiben sollen.<br />
SURFLÜGE 168