Einhornjagd und Grillenfang.pdf - PoCul-Verlag
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Nun werden hier aber Texte öffentlich gemacht, also einer anderen Kritik<br />
ausgesetzt als in der Gruppe. Sie müssen sich behaupten ohne die Meinung<br />
des Autors, was er eigentlich gemeint habe. Aber sie sind doch eingebettet<br />
in einen Band, der zunächst in einem unverstellten Gespräch die Gruppe,<br />
ihre Nöte, ihr Bestreben zu Worte kommen läßt. Das entbirgt eine Gruppen-<br />
Poetik, die in ihrer Lebendigkeit allem abstrakten Regelwerk überlegen ist.<br />
Und am Schluß steht eine Hommage an den Mentor, in der die<br />
Gesprächspartner Astels beweisen, daß sie nicht nur dichten, sondern auch<br />
fragen gelernt haben. Wir wissen es ja: Denn man muß dem Weisen seine<br />
Weisheit erst entreißen. Darum sei der Zöllner auch bedankt: Er hat sie ihm<br />
abverlangt. Dieses Schlußwort in Bertolt Brechts Legende von der<br />
Entstehung des Buches Taoteking charakterisiert darüber hinaus den<br />
Wechselprozeß in diesen literarischen Übungen; die Studenten haben Astel<br />
einiges von seinem ästhetischen Wissen <strong>und</strong> Gewissen abverlangt - er hat<br />
ihnen Hebammendienste geleistet, von der sanften bis zur Sturzgeburt, von<br />
der Zangengeburt bis zum Kaiserschnitt. Man sieht es aber den schönen<br />
Textkindern im Mittelteil nicht mehr an. Das spricht für beide.<br />
Gibt es also eine Saarbrücker Schule? Die Regeln der Grammatik,<br />
Rhetorik <strong>und</strong> Dialektik, also des Triviums in den sieben freien Künsten,<br />
spielen selbst in diesen Übungen einer (auto)deskriptiven Poetik immer<br />
noch ihre Rolle, vielleicht mehr als Negativfolie. Denn Literatur entsteht<br />
häufig erst duch Regelverstöße. So auch in diesem Buch. Das Maß ihrer<br />
Verstöße haben die Verfasser selbst bestimmt, das heißt, sie haben in<br />
Übereinkunft ihre Texte ausgewählt, der Mentor hat nicht dreingeredet.<br />
Die Geschichte der Schreibschulen ist hier nicht abzuhandeln. Der<br />
einsame Vorgang des Dichtens <strong>und</strong> der stumme Dialog zwischen Autor <strong>und</strong><br />
Leser haben immer auch ihre kollektive Ergänzung, die Schreib- <strong>und</strong><br />
Lesegesellschaften, hervorgerufen. Im Schlußdialog wird Walter Höllerers<br />
Berliner Schule erwähnt, eine in der Tat folgenreiche Unternehmung<br />
unserer neueren Literatur. Aber Vergleiche hinken, auch ohne das Abzählen<br />
von öffentlichen Erfolgen. Entscheidend ist das Gespräch der kleinen<br />
Gruppe über Poesie, <strong>und</strong> so bildet sich jeden Donnerstag immer von neuem<br />
eine minimierte, aber umso intensivere Universitas litterarum. Arnfrid Astel<br />
stimmt übrigens zögernd, dann doch bestimmt dem Begriff Saarbrücker<br />
Schule zu.<br />
Sie hat gelernt: Literatur ist das, was man gegen den Rat aller trotzdem<br />
schreibt. So gab <strong>und</strong> gibt es auch den Emanzipationsentschluß, die Gruppe<br />
<strong>und</strong> das Seminar zu verlassen (<strong>und</strong>, bisweilen, wiederzukommen). Und eine<br />
SELBER SCHREIBEN UND REDEN? 10