Einhornjagd und Grillenfang.pdf - PoCul-Verlag
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Schnappschüsse, <strong>und</strong> der Zug skandierte einen rumpumpelnden Holperrythmus<br />
dazu. Mit geringfügiger Verspätung traf ich im Zielbahnhof ein.<br />
Na dann! sagte ich <strong>und</strong> stieg aus, durch die menschenleere Bahnhofshalle<br />
echote mein Schritt, wieder mal gelangweilte Blicke zu den Plakaten <strong>und</strong><br />
Schaukästen; einige liebevoll gefertigte Modelle historischer Lokomotiven<br />
fesselten für etliche Sek<strong>und</strong>en meinen Blick. Dann nach draußen: Natürlich<br />
war noch kein Schwein zu sehen. Also warten, noch eine Camel hervorgekramt,<br />
<strong>und</strong> auf die nächste erreichbare Bank gesetzt. Ja, <strong>und</strong> schon wieder<br />
Durst, <strong>und</strong> die Bahnhofskneipe natürlich geschlossen. Ein Gefühl<br />
grenzenloser Öde überkam mich. Ich versuchte dagegen anzukämpfen,<br />
indem ich begann, mir ein Gedicht auszudenken, da ich mir damals noch<br />
einbildete, ein begnadeter Lyriker zu sein. Mittlerweile hat sich meine<br />
Ansicht hierüber geändert, <strong>und</strong> meine literarischen Produkte aus dieser Zeit<br />
haben ein unrühmliches Ende als Fidibus genommen, womit, glaube ich,<br />
genug über ihre Qualität ausgesagt ist.<br />
Ich war kaum über die dritte Zeile herausgekommen, als ein Opel Kadett<br />
von nicht mehr bestimmbarer Farbe <strong>und</strong> beträchtlichem Motorengeräusch<br />
sich näherte, mit elegantem Quietschen um die Kurve schlingerte <strong>und</strong> vor<br />
mir anhielt. Die Tür springt auf, ich steige ein, Begrüßungsfloskeln. Wir<br />
fahren zuerst zu mir, ja klar, <strong>und</strong> in der Innenstadt merkte ich, daß ich mich<br />
unbehaglich fühlte. Thilo fuhr wie ein Henker. Gottseidank waren in dieser<br />
Stadt die Straßen genauso menschenleer wie bei uns zu Hause. Nach drei<br />
überfahrenen Stopschildern bzw. roten Ampeln <strong>und</strong> einer Einbahnstraße in<br />
der verkehrten Richtung waren wir aus der City draußen, röhrten durch den<br />
Samstagsnachmittagsfrieden distinguierter Vorstadthäuschen, dann eine<br />
kurze Strecke durch Düfte atmenden Wald: Erstaunen meinerseits über die<br />
zahlreichen Stahltüren in Hängen <strong>und</strong> Felsen: die Amis, gab Thilo mir zu<br />
verstehen, der ganze Berg ist vollgestopft mit Sprengstoff <strong>und</strong> Munition.<br />
(Ah so.)<br />
Dann den Hang hinauf: Unbarmherzig drosch Thilo seinen Kadett durch<br />
die Serpentinen, so daß mir jede Kurve das eiskalte Adrenalin den Buckel<br />
hochtrieb. Bald kamen wieder Häuser in Sicht: Sollten wir gar? Tatsächlich,<br />
die Tortur hatte ein Ende. Der Kadett verlangsamte seine rasende Fahrt, bog<br />
in eine Einfahrt ein <strong>und</strong> kam schließlich in einer hölzernen Baracke, doppelt<br />
genutzt sowohl als Hasenstall wie auch als Garage, zum Stehen.<br />
Ich stieg aus <strong>und</strong> gelangte, indem ich Thilo folgte, ins Haus, wo wir als<br />
erstes seiner Mutter begegneten. Sie sah aus wie eine altdeutsche<br />
Schrankwand mit röhrendem Hirsch <strong>und</strong> paßte somit vorzüglich zur Einrichtung.<br />
Meine diesbezüglichen Befürchtungen ihr gegenüber erwiesen<br />
sich jedoch bald als nichtig: Ihre erste Frage: Haben Sie schon was gegessen?<br />
klang wie Musik in meinen Ohren. Sie können mich ruhig duzen,<br />
meinte ich, <strong>und</strong> Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen, etwas zu essen,<br />
log ich. (Und mit Recht: so eine lausige Currywurst ist ja nun wirklich<br />
Quantité négligeable!) Und kam so in den unzweifelhaften Genuß eines<br />
schmackhaften Nudelgerichts aus aufgepepten Gulaschresten <strong>und</strong> den<br />
zweifelhaften Genuß der üblichen Fragen wie Gehen Sie, pardon, gehst du<br />
noch zur Schule? Was möchtest du mal werden? Hast du noch Ge-<br />
RAINER BERNI 53