Einhornjagd und Grillenfang.pdf - PoCul-Verlag
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Selber schreiben <strong>und</strong> reden?<br />
Ein Vorwort von Gerhard Schmidt-Henkel<br />
In einem Bäckerladen der nordjütländischen Hafenstadt Hirtshals steht<br />
ein etwa fünfjähriges Mädchen, hält einige Öre oder auch Kronen<br />
Wechselgeld in der Hand, nachdem es Brot gekauft hat, <strong>und</strong> überlegt,<br />
welches Kuchenstück es für sich auswählen soll. Die Bäckerin redet zu ihm<br />
in der von oben herabgeneigten Art, die Kinder mit Recht hassen. Sie<br />
unterbreitet Kaufempfehlungen. Das Mädchen zögert. Schließlich<br />
unterbricht es die Suada der Bäckerin mit dem energisch hervorgestoßenen<br />
Satz: Jeg vil selv bestemme!<br />
Das ist es. Das Gefühl der Fremdbestimmtheit ist jedem Studenten<br />
vertraut, bei gleichzeitigem Anspruch, sich geistig selbständig zu entwickeln.<br />
Der Medizinstudent mag das Gelernte in beschränktem Maße an<br />
seiner Physis ausprobieren; meist endet es in der Fehldiagnose des Morbus<br />
clinicus, indem die eben gelernten Krankheitssymptome sich beim<br />
Lernenden einstellen. Der Theologiestudent ist in der glücklichen Lage,<br />
seinen Gott zu finden <strong>und</strong> in der schwierigen, ihn später anderen zu<br />
vermitteln. Der Student der Jurisprudenz ist so klug, oder seine Lehrer sind<br />
es, den unmerklichen Übergang von Recht zu Unrecht hinter Sprachgittern<br />
einzusperren; die Feile besitzt nur der Jurist. Der Literaturstudent erfährt<br />
den Weg der Sprache vom alltäglichen Kommunikationsmittel zur<br />
Literatur, zum immer noch komplexesten Imformationsmedium, das wir<br />
kennen. Diese Aisthesis ist manchen ein Schock, manchen ein Glück. Der<br />
Königsweg ist: Lesen lernen, Verstehen lernen, ein Gedicht lesen, es<br />
auswendig lernen, ein Gedicht schreiben. Und so in allen literarischen<br />
Gattungen. (Daß Analphabeten bisweilen große Dichter sind, diese<br />
eingeschobene Bemerkung wird Arnfrid Astel erfreuen.)<br />
Als Arnfrid Astel im Wintersemester 1979/80 bereit war, einen Lehrauftrag,<br />
einen Schreibkurs für Studierende aller Fachrichtungen, zu übernehmen,<br />
war das Ergebnis nicht abzusehen, auch wenn die Dozenten immer<br />
wieder von errötenden Studierenden hören, daß sie »auch« schrieben <strong>und</strong><br />
etwas prüfen lassen wollten. Literaturdozenten sind nicht immer auch gute<br />
SELBER SCHREIBEN UND REDEN? 8