30.12.2012 Aufrufe

Migration und Integration in Basel-Stadt Ein «Pionierkanton» unter ...

Migration und Integration in Basel-Stadt Ein «Pionierkanton» unter ...

Migration und Integration in Basel-Stadt Ein «Pionierkanton» unter ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

2 Konzeptuelles <strong>und</strong> Def<strong>in</strong>ition<br />

2.1 <strong>Integration</strong> - Theorie<br />

Esser def<strong>in</strong>iert <strong>Integration</strong> als den „Zusammenhalt von Teilen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

„systemischen“ Ganzen <strong>und</strong> die dadurch erzeugte Abgrenzung von e<strong>in</strong>er<br />

unstrukturierten Umgebung […], gleichgültig zunächst worauf dieser<br />

Zusammenhang beruht“ (2000: 176; zitiert <strong>in</strong> Stolz im Ersche<strong>in</strong>en: 5). Aus<br />

dieser Def<strong>in</strong>ition wird ersichtlich, dass sich <strong>Integration</strong> als zentraler Begriff<br />

der klassischen Sozialtheorie auf den Zusammenhang zwischen sozialer<br />

E<strong>in</strong>heit <strong>und</strong> Differenz bezieht. <strong>Integration</strong> stellt kont<strong>in</strong>uierlich die<br />

Bed<strong>in</strong>gungen sozialer Ordnung <strong>in</strong> Frage. Schon <strong>in</strong> den Anfängen der<br />

modernen Sozialtheorie – beispielsweise bei Hobbes – wurde soziale<br />

Ordnung als bedrohte Errungenschaft verstanden. Dies habe zur Folge, dass<br />

immer wieder von Neuem zu klären sei, warum die Welt überhaupt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

bestimmten erkennbaren Weise geordnet sei, <strong>und</strong> warum nicht Chaos, Zerfall<br />

<strong>und</strong> Entropie herrschten.<br />

E<strong>in</strong> Blick zurück <strong>in</strong> die Geschichte zeigt, wie schwierig es ist, die Begriffe<br />

<strong>Integration</strong> <strong>und</strong> Ordnung neutral zu def<strong>in</strong>ieren. In der Kritik am Begriff<br />

wurde herausgearbeitet, dass es <strong>in</strong> der Regel nicht um Systembestand per se<br />

geht, sondern um die Erhaltung bestimmter positiv bewerteter Formen von<br />

<strong>Integration</strong>. Im S<strong>in</strong>ne der klassischen Soziologie bedeutet <strong>Integration</strong> e<strong>in</strong><br />

„Streben nach Aufrechterhalten von Stabilität auf der Basis e<strong>in</strong>es<br />

gesellschaftlichen Gr<strong>und</strong>konsens, erreicht über den Abbau <strong>und</strong> das<br />

Verh<strong>in</strong>dern von Spannungen <strong>und</strong> Konflikten“ (Stienen <strong>und</strong> Wolf 1991).<br />

Ordnungs- oder <strong>Integration</strong>s-begriffe haben <strong>in</strong> den Sozialwissenschaften <strong>in</strong><br />

diesem S<strong>in</strong>n auch e<strong>in</strong>en diagnostischen Charakter. Sie enthalten e<strong>in</strong><br />

bestimmtes normatives Element, das e<strong>in</strong>e implizite oder explizite Vorstellung<br />

von „gel<strong>in</strong>gender“ oder „missl<strong>in</strong>gender“ Vergesellschaftung be<strong>in</strong>haltet.<br />

Angewendet auf die Beziehungen zwischen Migranten <strong>und</strong> der<br />

Aufnahmegesellschaft bedeutet <strong>Integration</strong> also e<strong>in</strong>e Stabilisierung der<br />

Aufnahmegesellschaft (<strong>und</strong> ihrer neuen Mitglieder) durch das F<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>es<br />

gr<strong>und</strong>legenden Konsenses über die Regeln <strong>und</strong> Formen des<br />

Zusammenlebens. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d die Standards für die Beurteilung der<br />

sozialen <strong>Integration</strong> historisch variabel, auch wenn sie nicht willkürlich<br />

variieren. Dieser Wandel lässt sich mit<strong>unter</strong> auch als Ausdruck von sozialen<br />

Lernprozessen verstehen.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich macht man <strong>in</strong> der Soziologie e<strong>in</strong>e Unterscheidung zwischen<br />

der Sozial- <strong>und</strong> der System<strong>in</strong>tegration (Lockwood 1992 (1964)). „System<strong>in</strong>tegration<br />

ist die <strong>Integration</strong> e<strong>in</strong>es Systems durch das gute Funktionieren<br />

<strong>und</strong> Zusammenarbeiten der Subsysteme, ganz unabhängig davon, wie gut die<br />

Individuen bzw. Gruppen als solche <strong>in</strong>s System <strong>in</strong>tegriert s<strong>in</strong>d (Stolz im<br />

20<br />

Ersche<strong>in</strong>en: 6)“. Die System<strong>in</strong>tegration wird erreicht, wenn e<strong>in</strong>erseits die<br />

Sub-Systeme (Ges<strong>und</strong>heitswesen, Recht, Wirtschaft) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft<br />

funktionieren, <strong>und</strong> wenn andererseits die Sub-Systeme ausreichend<br />

mite<strong>in</strong>ander verknüpft s<strong>in</strong>d. Die Sozial<strong>in</strong>tegration, die im Zentrum dieses<br />

Berichts steht, <strong>in</strong>teressiert sich für die <strong>Integration</strong> der sozialen Akteure <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

gegebenes Sozialsystem (Stolz im Ersche<strong>in</strong>en: 6)“.<br />

Die Sozial<strong>in</strong>tegration der Migrantenbevölkerung beschreibt den möglichst<br />

gleichberechtigten E<strong>in</strong>bezug von Personen mit <strong>Migration</strong>sh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>in</strong> die<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> deren Teilsysteme (Schule, Wirtschaft, Politik, Ges<strong>und</strong>heit,<br />

Kultur). Die Sozial<strong>in</strong>tegration kann sich laut Esser auf verschiedenen<br />

Dimensionen abspielen (Esser 1980). Die kognitive <strong>Integration</strong> beschreibt,<br />

wie e<strong>in</strong> Individuum sich <strong>in</strong> das soziale System e<strong>in</strong>fügt. In diesem Zusammenhang<br />

spielen Spracherwerb, die Aneignung von Fähigkeiten, aber auch<br />

die Ver<strong>in</strong>nerlichung von Verhaltens- <strong>und</strong> Situationsmustern, normativen<br />

Kenntnissen etc. e<strong>in</strong>e Rolle.<br />

Die strukturelle <strong>Integration</strong> <strong>unter</strong>sucht, wie die Migrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Migranten<br />

Teil des gesellschaftlichen Systems werden. Die strukturelle <strong>Integration</strong> wird<br />

durch e<strong>in</strong> Erwerbse<strong>in</strong>kommen, e<strong>in</strong>e Arbeitsstelle, e<strong>in</strong>e stabile rechtliche<br />

Stellung oder den Besuch e<strong>in</strong>er Ausbildungse<strong>in</strong>richtung begünstigt. In<br />

H<strong>in</strong>blick auf die strukturelle <strong>Integration</strong> stellt sich die Frage, <strong>in</strong>wiefern die<br />

Migrantenbevölkerung <strong>in</strong> allen Bereichen des öffentlichen Lebens (Bildung,<br />

Arbeitsmarkt, E<strong>in</strong>kommen etc.) gleichberechtigt ist. Das Konzept der<br />

strukturellen <strong>Integration</strong> geht davon aus, dass der Zugang zu den meisten<br />

Gütern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft ungleich verteilt ist, <strong>und</strong> dass Migrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Migranten oft über e<strong>in</strong>en schlechteren Zugang zu den öffentlichen Gütern<br />

verfügen als die E<strong>in</strong>heimischen.<br />

Die soziale <strong>Integration</strong> beschreibt die sozialen Beziehungen, durch die<br />

Migrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Migranten sich <strong>in</strong> die Gesellschaft e<strong>in</strong>fügen. In dieser<br />

Studie werden <strong>unter</strong> dem Aspekt der sozialen <strong>Integration</strong> auch kulturelle<br />

Faktoren <strong>unter</strong>sucht, weshalb diese Dimension als „soziokulturelle“<br />

<strong>Integration</strong> bezeichnet wird. Soziokulturelle <strong>Integration</strong> wird begünstigt<br />

durch Fre<strong>und</strong>schaften, Heirat oder durch das zivilgesellschaftliche<br />

Engagement <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en, Netzwerken oder religiösen Geme<strong>in</strong>schaften. Die<br />

identifikatorische <strong>Integration</strong> schliesslich stellt die Zugehörigkeitsforderungen<br />

<strong>und</strong> die identitären B<strong>in</strong>dungen der Individuen <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong><br />

Dieser kurze Blick <strong>in</strong> die Literatur belegt, dass <strong>Integration</strong> <strong>in</strong> der<br />

wissenschaftlichen Literatur zumeist als vielschichtiger <strong>und</strong> komplexer<br />

21

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!