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Migration und Integration in Basel-Stadt Ein «Pionierkanton» unter ...

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e<strong>in</strong>e hohe Stellung zukommt, ist bis heute über deren effektive Auswirkungen<br />

nur wenig bekannt (siehe Kapitel 2.6).<br />

11.2.2 Technokratische Konzeption der <strong>Integration</strong><br />

E<strong>in</strong>e zweite Tendenz, die sich durch die neuere <strong>in</strong>tegrationspolitische Debatte<br />

h<strong>in</strong>durch zieht, kann als technokratische Konzeption der “<strong>Integration</strong>“<br />

bezeichnet werden. Wenn man die Dokumente zur <strong>Integration</strong>spolitik liest –<br />

auf basel-städtischer wie auch auf föderaler Ebene – so herrscht die Me<strong>in</strong>ung<br />

vor, e<strong>in</strong>e bessere <strong>Integration</strong> könne durch die Bedienung e<strong>in</strong>es „Schalters“<br />

hervorgebracht werden: dem „Schalter“ der Zulassungspolitik. Dabei wird als<br />

Beispiel gern die E<strong>in</strong>führung des Zweikreis-Modells genannt. Damit sei<br />

nämlich sichergestellt worden, dass von ausserhalb der EU nur noch „hoch<br />

qualifzierte“, zur <strong>Integration</strong> befähigte Personen <strong>in</strong> die Schweiz e<strong>in</strong>wandern,<br />

die „weniger Probleme“ verursachen als andere Migrantengruppen.<br />

Die Annahme, dass das Bedienen e<strong>in</strong>es Schalters ausreicht, um die<br />

Zusammensetzung der Migrantenbevölkerung gr<strong>und</strong>sätzlich zu verändern,<br />

wird durch die im sozio-demografischen Kapitel beschriebenen Entwicklungen<br />

teilweise bestätigt. Doch muss an dieser Stelle betont werden, dass diese<br />

Politik auch verschiedene „bl<strong>in</strong>de Flecken“ aufweist. Zunächst muss darauf<br />

verwiesen werden, dass die vorhandenen statistischen Daten zur Migrantenbevölkerung<br />

e<strong>in</strong> eigentliches <strong>Integration</strong>smonitor<strong>in</strong>g noch nicht zulassen.<br />

Der <strong>in</strong> den Statistiken dom<strong>in</strong>ierenden Komponente der Unterscheidung der<br />

Menschen nach „Heimat“ fehlt es <strong>in</strong> vielen sozialpolitisch relevanten Dimensionen<br />

an der nötigen <strong>und</strong> wünschenswerten „Präzision“.<br />

Beim technokratischen Ideal bleibt weiterh<strong>in</strong> wenig berücksichtigt, dass über<br />

den Kanal des Familiennachzugs weiterh<strong>in</strong> niedrig qualifzierte Immigranten<br />

aus Drittstaaten <strong>in</strong> die Schweiz e<strong>in</strong>reisen werden. Diese Beobachtung gab <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em der Fokusgruppengespräche Anlass zur Diskussion, ob nicht die<br />

Bestimmungen des Familiennachzugs (z.B. Senkung des Zuzugsalters) künftig<br />

weiter verschärft werden sollten. Obschon bestimmte Kreise diese Option<br />

begrüssen würden, darf nicht vergessen werden, dass der Schutz der Familie<br />

soziales Recht darstellt, zu dessen Schutz sich die Schweiz verpflichtet hat.<br />

E<strong>in</strong> weiterer Punkt die Zulassungspolitik betreffend, der <strong>in</strong> den Fokusgruppenbesprochen<br />

wurde, war die Auffassung, wonach die heutige Politik<br />

die bestehende Nachfrage nach niedrig qualifizierter Zuwanderung e<strong>in</strong>fach<br />

ausblende. In den Fokusgruppengesprächen wurde zwar anerkannt, dass das<br />

Bevölkerungswachstum <strong>und</strong> die demografische Alterung die Nachfrage nach<br />

den von Niedrig qualifizierten erbrachten Dienstleistungen erhöht (wie die<br />

von Nannies, privaten Altenpfleger<strong>in</strong>nen, Putzfrauen etc.). Jedoch wird die<br />

daraus resultierende Forderung nach der Zulassung von niedrig qualifizierter<br />

E<strong>in</strong>wanderung abgelehnt.<br />

194<br />

Die technokratische Vision der <strong>Integration</strong> verweigert sich auch der Tatsache,<br />

dass die Menschen, die sich <strong>in</strong> der Vergangenheit nicht <strong>in</strong>tegriert haben, nicht<br />

plötzlich aus der Migrantenbevölkerung verschw<strong>in</strong>den werden. Noch heute<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Reihe von Personen, die <strong>in</strong> den 60er bis 80er Jahren als Arbeitskräfte<br />

rekrutiert wurden, nicht <strong>in</strong> allen Bereichen gleich stark <strong>in</strong>tegriert,<br />

obwohl sie ihren Beitrag zur Schweizer Gesellschaft geleistet <strong>und</strong> damit ihren<br />

Platz behauptet haben. Da die meisten dieser Personen e<strong>in</strong>e Niederlassungsbewilligung<br />

besitzen, können sie nicht mit rechtlichen Mitteln zur <strong>Integration</strong><br />

gezwungen werden. Die Bedürfnisse dieser Personen, die ebenfalls über<br />

„<strong>Integration</strong>sdefizite“ verfügen, müssen <strong>in</strong> der <strong>Integration</strong>spolitik reflektiert<br />

werden. Zu denken ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang an die transkulturelle<br />

Öffnung der Institutionen der Alters- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsversorgung.<br />

Die starke Fokussierung der basel-städtischen <strong>Integration</strong>spolitik auf den<br />

Vorschulbereich hat dazu geführt, dass vermehrt Ressourcen <strong>in</strong> diesen<br />

Bereich fliessen. Mit dieser Ressourcenallokation wird die Hoffnung<br />

geweckt, dass alle <strong>in</strong>tegrationspolitischen Probleme im Vorschulalter gelöst<br />

werden können. Überspitzt formuliert kommt hier die Annahme zum<br />

Ausdruck, dass <strong>Integration</strong>sdefizite, die nicht im Vorschulalter gelöst<br />

werden, später nicht mehr behoben werden können. Sollte diese starke<br />

Fokussierung auf den Vorschulbereich nicht zu den erhofften Resultaten<br />

führen, so besteht das Risiko, dass anschliessend von e<strong>in</strong>er „Fehl<strong>in</strong>vestition“<br />

gesprochen wird. Aus diesem Gr<strong>und</strong> könnte es sich lohnen, die <strong>Integration</strong>spolitik<br />

nicht nur auf diesen Lebensabschnitt zu konzentrieren. Es dürfte<br />

tatsächlich unbestritten se<strong>in</strong>, dass auch später noch Weichen gestellt werden<br />

können. Aus Effizienzgründen könnte es sich daher lohnen, die verschiedenen<br />

Schnittstellen <strong>und</strong> Übergangsphasen im Leben e<strong>in</strong>es Menschen<br />

(E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Schule, Übergang Primar-Sek. I, Sek. I zu Sek. II, Übergang<br />

<strong>in</strong>s Erwerbsleben) zum Fokus der <strong>Integration</strong>spolitik zu erklären.<br />

Auf den wichtigsten „bl<strong>in</strong>den Fleck“ <strong>in</strong> der gesamten technokratisch<br />

orientierten <strong>in</strong>tegrationspolitischen Debatte wurde von e<strong>in</strong>em<br />

Fokusgruppenteilnehmer h<strong>in</strong>gewiesen, der die These aufstellte, die Aufnahmegesellschaft<br />

wolle die Chancengleichheit der Migrantenbevölkerung<br />

letztlich gar nicht. Mit dieser Aussage wollte er <strong>unter</strong>streichen, dass im Gr<strong>und</strong>e<br />

die „Besitzstandswahrung“ die Hauptmotivation vieler Akteure der<br />

Aufnahmegesellschaft darstellt. Die Migrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Migranten würden<br />

diese Ambivalenz spüren <strong>und</strong> deshalb der Aufforderung zur <strong>Integration</strong> mit<br />

Skepsis begegnen. Die Institutionen s<strong>in</strong>d deshalb auch mit der Frage konfrontiert,<br />

wie sie trotz dieser Vorbehalte die Herstellung von „Chancengleichheit“<br />

realisieren wollen. Wie soll e<strong>in</strong> Schulsystem damit umgehen, wenn die<br />

Bemühungen im Vorschulalter künftig Erfolg <strong>und</strong> viel mehr K<strong>in</strong>der<br />

hervorragende Noten hätten, die sie befähigen würden, e<strong>in</strong>e anspruchsvolle<br />

Lehre <strong>und</strong> weiterführende Schulen absolvieren zu können. Solange die<br />

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