Migration und Integration in Basel-Stadt Ein «Pionierkanton» unter ...
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Segregation, Ungleichheit <strong>und</strong> Rassismus zu überw<strong>in</strong>den. Allerd<strong>in</strong>gs, stellt<br />
Ralph Grillo (2010) fest, würden auf den Inseln weiterh<strong>in</strong> verschiedene<br />
Vorstellungen <strong>und</strong> Praktiken <strong>in</strong> der Sozialpolitik ko-existieren: Programme<br />
zur Förderung kultureller Diversität seien gleichzeitig neben Forderungen<br />
nach Assimilation <strong>und</strong> der Verh<strong>in</strong>derung von „Parallel Lives“ zu f<strong>in</strong>den.<br />
Die Niederlande stehen seit e<strong>in</strong>igen Jahren ebenfalls <strong>unter</strong> starker Beachtung,<br />
galten sie doch lange als Musterland des Multikulturalismus. Allerd<strong>in</strong>gs hat<br />
seit den 1990er Jahren e<strong>in</strong> Wandel stattgef<strong>und</strong>en, e<strong>in</strong> so genannter Sieg des<br />
„Neuen Realismus“ (Pr<strong>in</strong>s <strong>und</strong> Sahrarso 2010). Im öffentlichen Diskurs <strong>und</strong><br />
<strong>in</strong> der Politik wird behauptet, die „gewöhnlichen Menschen“ müssten <strong>in</strong>s<br />
Zentrum des politischen Interesses gerückt werden <strong>und</strong> seien es auch.<br />
Endlich würden die „Fakten zur Kenntnis genommen“, was dazu führe, e<strong>in</strong>e<br />
verme<strong>in</strong>tlich liberale multikulturelle Politik zu überw<strong>in</strong>den. Vermehrt ist<br />
auch die Rede von e<strong>in</strong>er zu verstärkenden Anpassung der E<strong>in</strong>wanderer an<br />
„holländische Werte“. Unter dem E<strong>in</strong>druck des Mordes an Theo van Gogh<br />
<strong>und</strong> <strong>unter</strong> der publizistischen Dauerpräsenz von Leuten wie Paul Scheffer<br />
<strong>und</strong> Ayaan Hirsi Ali, die <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong>ternationale Bekanntheit erlangt<br />
haben, sche<strong>in</strong>t sich h<strong>in</strong>gegen lediglich der Diskurs gewandelt zu haben. Auf<br />
der Ebene der Praxis versuchen Politiker nach wie vor <strong>in</strong>dividuelle Teilhabe,<br />
Emanzipation <strong>und</strong> Diversität zu <strong>unter</strong>stützen (Pr<strong>in</strong>s <strong>und</strong> Saharso 2010).<br />
Frankreich gilt wie erwähnt als Prototyp e<strong>in</strong>er assimilatorisch-republikanischen<br />
Nation, der sich alle Bürger <strong>unter</strong>zuordnen haben. Allerd<strong>in</strong>gs hat<br />
auch <strong>in</strong> Frankreich auf der Ebene der realen Politik e<strong>in</strong>e differenzierte<br />
E<strong>in</strong>schätzung der Lage E<strong>in</strong>zug gehalten. In der Vergangenheit hat das<br />
Bewusstse<strong>in</strong> zugenommen, dass Diskrim<strong>in</strong>ierung als soziales Phänomen<br />
alle<strong>in</strong> durch das Wiederholen e<strong>in</strong>es universalistischen Mantras nicht von<br />
alle<strong>in</strong>e abnimmt. Insbesondere die Nachkommen postkolonialer<br />
Geme<strong>in</strong>schaften s<strong>in</strong>d von dieser Unterscheidung betroffen <strong>und</strong> wehren sich<br />
nicht zuletzt als Bürger <strong>in</strong> Aufsehen erregenden disruptiven Aktionen, wie sie<br />
zur Tradition Frankreichs gehören (Simon <strong>und</strong> Sala Pala 2010). E<strong>in</strong>e Politik,<br />
die darauf beruht, Andersartigkeit öffentlich zu kaschieren <strong>und</strong> die<br />
Diskrim<strong>in</strong>ierung durch Verne<strong>in</strong>ung abzulehnen, hat den Franzosen ebenfalls<br />
die Grenzen des eigenen Modells offenbart.<br />
Auch e<strong>in</strong> skand<strong>in</strong>avisches Land wie Dänemark hat sich nie als multikulturell<br />
verstanden. Kulturelle Diversität ist <strong>in</strong> Dänemark (anders als <strong>in</strong> Schweden)<br />
seit jeher verpönt, trotz der Heterogenität der Bevölkerung, die mittlerweile<br />
auf der Strasse sichtbar ist. Der Diskurs über die Monokulturalität hat <strong>in</strong><br />
Dänemark an politischer Hegemonie gewonnen <strong>und</strong> wurde zum alles<br />
beherrschenden Diskurs. Die Debatte <strong>in</strong> Dänemark dreht sich um Fragen der<br />
Assimilation <strong>und</strong> der Anpassung des Wohlfahrtsstaates an die „Herausforderung<br />
der E<strong>in</strong>wanderung“. Obschon Assimilation <strong>in</strong> der politischen Rede<br />
an Priorität gewonnen hat, verlangt die Faktizität kultureller Diversität <strong>und</strong><br />
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die ökonomische Notwendigkeit der E<strong>in</strong>wanderung nach e<strong>in</strong>em pragmatischen<br />
Vorgehen, <strong>in</strong>sbesondere auf lokaler Ebene. Häufig wird dieser<br />
<strong>in</strong>teressenbasierte Pragmatismus, der sich <strong>in</strong> Dänemark nicht scheut, nach<br />
e<strong>in</strong>er Erstarkung der nationalen Identität zu rufen, mit der Politik <strong>in</strong><br />
Schweden kontrastiert, das als skand<strong>in</strong>avisches Land weiterh<strong>in</strong> versucht,<br />
se<strong>in</strong>e Sozialpolitik an die Möglichkeiten <strong>und</strong> Gegebenheiten ihrer Klientel<br />
anzupassen (Hedetoft, 2010).<br />
Ähnlich wie die Schweiz hat auch Deutschland lange damit gehadert, als<br />
E<strong>in</strong>wanderungsland zu gelten <strong>und</strong> somit e<strong>in</strong>e <strong>Integration</strong>spolitik zu<br />
formulieren. In der breiten Öffentlichkeit herrscht die Me<strong>in</strong>ung vor,<br />
Migranten müssten sich vollständig den deutschen Bed<strong>in</strong>gungen anpassen,<br />
um die Entstehung e<strong>in</strong>er Parallelgesellschaft zu verh<strong>in</strong>dern. Aber auf lokaler<br />
Ebene, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den grösseren Städten, wird auf pragmatische Art <strong>und</strong><br />
Weise e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terkulturelle Politik betrieben, die auf die Spezifizitäten der<br />
Migranten Rücksicht nimmt (Schönwalder, 2010).<br />
Modelle der <strong>Integration</strong> sche<strong>in</strong>en, dies belegt der kurze Blick über die<br />
Grenzen, bei weitem nicht so kohärent <strong>und</strong> umfassend zu se<strong>in</strong> wie es auf den<br />
ersten Blick den Ansche<strong>in</strong> hat. Trotz restriktivem Turn, trotz der Unterstreichung<br />
nationaler Eigenheiten werden die verschiedenen Realisierungen<br />
<strong>und</strong> Modelle der <strong>Integration</strong>spolitik sowohl durch die Politik als auch durch<br />
die Praxis auf den verschiedenen Ebenen (national, regional, kommunal) <strong>und</strong><br />
<strong>in</strong> den verschiedenen gesellschaftlichen Politikfeldern (Bildung, Soziales,<br />
<strong>Stadt</strong>entwicklung usw.) widerlegt. Modelle sche<strong>in</strong>en mächtige Fiktionen zu<br />
se<strong>in</strong>, die aber aufgr<strong>und</strong> der Def<strong>in</strong>itionsmacht des Sozialen der tatsächlichen<br />
Politik meist widersprechen. Dies entspricht auch dem Umstand, dass<br />
<strong>Integration</strong>smodelle nicht am Anfang e<strong>in</strong>er Debatte stehen, sondern mit<strong>unter</strong><br />
Ergebnisse derselben darstellen. Diskussionen dieser Art versuchen e<strong>in</strong>en<br />
zeitlich begrenzten gesellschaftlichen Konsens zu <strong>unter</strong>streichen, wie am<br />
Beispiel der Migrant<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Migranten <strong>Integration</strong> <strong>in</strong>nerhalb der realen<br />
Gesellschaft zu bewerkstelligen sei. Gerade deshalb s<strong>in</strong>d die beschriebenen<br />
Modelle nicht stabile Politiken, sondern variieren als Ergebnis ihrer Zeit,<br />
ihres nationalen Kontextes <strong>und</strong> der Art <strong>und</strong> Weise, wie „Probleme“ der<br />
<strong>Integration</strong> wahrgenommen werden.<br />
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