Analyse des menschlichen Fehlverhaltens in Gefahrensituationen

5.3.4.4 Die Prospektivinformation in konkreten Bedrohungssituationen
Die Prospektivinformation ist Information, die durch Vorauskalkulieren der
aktuellen Bedrohungssituation zustande kommt. Der bedrohte Mensch rechnet
mental die Entwicklung des Bedrohungsprofils hoch, um danach im Voraus Entscheidungen
über Bewältigungs- und Verhinderungsmaßnahmen zu treffen. Die
Prospektivinformation wird kognitiv generiert nach der einströmenden Präinformation.
Je genauer die Präinformation über eine sichtbare oder hörbare Bedrohungsentwicklung
ist, umso präziser lässt sich danach die Entwicklung des Bedrohungsszenarios
vorauskalkulieren. Die Prospektivinformation schließt in der
Vorauskalkulation der realen Szenarioentwicklung auch die erkannten Risiken mit
ein. Dies gilt in gleicher Weise für die real existierenden Gefahren.
Während es sich bei den Einsatzkräften um die Vorauskalkulation von angetroffenen
Situationen handelt, geht es bei den Führungskräften um die Vorauskalkulation
von Lagen. In beiden Fällen sind psychozerebrale Funktionen angesprochen.
In der Situation vor Ort ergibt sich eine direkte Konfrontation mit der Bedrohung,
die eingeschätzt und vorauskalkuliert werden muss; bei der Einsatzleitung entsteht
zwar durch die Meldungen eine indirekte Bedrohung, die allerdings in ihrer Szenarioentwicklung
einer präzisen Prospektivinformation bedarf, um rechtzeitig die
entsprechenden Maßnahmen ergreifen zu können.
Die Generierung der Prospektivinformation hängt von der Funktionsgüte der
psychozerebralen Basisgrößen ab, die den Informationshaushalt des Individuums
bestimmen. Zur Entwicklung von Prospektinformation sind informationelle
Ressourcen notwendig, die Vorausüberlegungen überhaupt erst ermöglichen. Zur
Entwicklung von Bränden ist z.B. Grundwissen und Erfahrung über die nähere
Umgebung einschließlich Windrichtung etc. erforderlich. Dazu kommen jetzt
zusätzlich mentale Prospektivlagen hinzu, mit denen dann ebenfalls mental mögliche
Entwicklungen durchgespielt werden müssen. Diese kognitiven Operationen
benötigen einen relativ großen Umfang an „Denkraum“.
Ähnliches gilt auch für die Einsatzkräfte vor Ort. Sie müssen rasch Gefahrenentwicklungen
vorausdenken können, um sich danach risikoreduzierend verhalten
oder bedrohte Menschen retten zu können. Wenn z.B. Menschen lichterloh brennend
aus einem Gebäude rennen, dann sollte der Feuerwehrmann vor Ort die mögliche
Laufrichtung des brennenden Menschen vorauskalkulieren. Bekannt müsste
ihm sein, dass sich in einer Gehirnnotlage unter Extremstress die bekannten Verhaltensmaßnahmen
wie z.B. auf dem Boden wälzen oder in Richtung Wasser laufen
keineswegs regelmäßig zeigen. Vielmehr suchen die Menschen in ihrer
Lebensangst Überdachungen auf, so z.B. Bäume, um dann dort zu verbrennen.
Möglicherweise wirkt hier ein atavistisches Muster, d.h. ein Denkmuster aus früheren
Zeiten, in denen die Menschen noch unter Bäumen Schutz vor Gefahren
suchten. Ebenso flüchten Menschen, die gerade aus ihrem brennenden Haus gerettet
wurden, dahin wieder zurück. Dieses wurde schon erwähnt. Feuerwehrkräfte,
die diesen Vorgang noch nicht kennen, werden dabei überrascht.
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