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EUROPEAN MEDIA ART FESTIVAL OSNABRUECK 2011 - Emaf

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RETROSPECTIVE<br />

STANDISH LAWDER<br />

OFFERING SOMETHING FOR EVERYONE<br />

Standish Lawder ist einer der geistreichsten, cleversten und unberechenbarsten amerikanischen Avantgarde-<br />

Filmemacher. Unermüdlich pendelnd zwischen strukturellen Studien und malerischer Abstraktion, der Bearbeitung<br />

von gefundenem Filmmaterial und Szenen aus Tagebüchern, reichen Lawders Filme vom Komischen bis<br />

zum Ergreifenden (und vereinen oft beides). Die beim EMAF <strong>2011</strong> gezeigten Programme zeigen eine fast vollständige<br />

Auswahl der Filme, die er in einer besonders kreativen Phase in den späten 60er-Jahren bis Mitte der<br />

70er-Jahre produzierte, der Blütezeit der Experimental-Film-Bewegung in den USA, als zahlreiche künstlerischen<br />

Filmemacher die für Hollywood so typischen Weise des Geschichtenerzählens ablehnten und sich stattdessen<br />

des Mediums Film auf eine Art bedienten, die den Absichten der Malerei und Bildhauerei dieser Zeit,<br />

d.h. formale Strategien, Minimalismus, unerwartete Verschiebung von Zeit und Raum, Schwerpunkt auf die Materialien<br />

und Abläufe der Filmproduktion sowie die Einbeziehung ›gefundener‹ Elemente entsprachen. Standishs<br />

frühe Filme sind betont non-narrativ und obwohl einige schon über witzige und humoristische Elemente<br />

verfügen, nehmen sie im Großen und Ganzen doch Abstand von den Standardkonzepten der Filmunterhaltung.<br />

Viele wurden mit Hilfe von Filmkopiergeräten gemacht, die er erfand, um spezielle visuelle Effekte zu erzeugen.<br />

Die Beschaffenheit des Materials und die visuelle Substanz des Filmstreifens selbst sind die eigentlichen<br />

Schwerpunkte von Lawder bei dessen Filmherstellung. In ›Runaway‹, zum Beispiel, wird ein Stück ›gefundenes<br />

Filmmaterial‹ so erbarmungslos untersucht, dass das Bild sich praktisch auflöst und die Aufmerksamkeit des<br />

Betrachters vermehrt auf das abstrakte Spiel von Formen und Bewegung gelenkt wird, das dicht auf dem Bildschirm<br />

eingerahmt wird. Auf ähnliche Art und Weise basiert ›Corridor‹ auf obsessiven Wiederholungen, fotografischer<br />

Manipulation und dem Gefühl visueller Faszination; der visuell anspruchsvollste Film im Programm.<br />

›Construction Job‹ wurde aus nichts anderem als einer liebevoll zusammengetragenen Sammlung von Filmstreifen<br />

von Klassikern, Amateurfilmen, alten Nachrichtenfilmen und ähnlichem Material hergestellt. Unsere<br />

Reaktion auf ›Necrology‹ wird durch die mögliche Endlosigkeit des Filmstreifens hervorgerufen; die räumliche<br />

Unklarheit der Perspektive der Kamera prägt ›Catfilm for Katy and Cynnie‹; während wir uns ›Specific Gravity‹<br />

anschauen, wird die Dauer des Filmstreifens selbst automatisch gemessen. Lawders ›Dangling Participle‹ ist<br />

vielleicht weniger formal und eher lustiger und dennoch besteht auch dieser Film ausschließlich aus Ausschnitten<br />

aus Lehrfilmen für Schulen der 50er-Jahre.<br />

›Necrology‹ (1969) zeigt die vielen innovativen Qualitäten, die man in Lawders Arbeit findet, vor allem seine<br />

Fähigkeit, die Aufmerksamkeit des Zuschauers ganz unerwartet auf den Prozess der Filmherstellung selbst zu<br />

lenken. Der Film beginnt scheinbar mit einer Kamerabewegung, wobei die Kamera offenbar an einem Kran befestigt<br />

ist und sich ohne zu zögern nach unten bewegt. Eine endlos lange Menschenreihe steht auf einer geneigten<br />

Fläche, was eventuell den verschiedenen Ebenen eines Theaters, Balkons oder Fußallstadions nachempfunden<br />

ist. Die Menschen betreten den Bildausschnitt von unten und verlassen ihn an der oberen Seite<br />

wieder. Nur ganz allmählich erkennt der Betrachter die unterschwelligen Unstimmigkeiten und beginnt die Authenzität<br />

des Bildes vor sich in Frage zu stellen.<br />

Es ist kaum zu glauben, dass ›Necrology‹ mit einer absolut feststehenden Kamera gedreht wurde; die Menschen<br />

waren es, die sich bewegten, indem sie auf einer Rolltreppe standen. John W. Locke ermöglichte eine eingehende<br />

Diskussion über Lawders Arbeit in einer Ausgabe von ›Artforum‹ von Mai 1974. Er beschreibt das Ende<br />

von ›Necrology‹ als höchst amüsante Wandlung eines ernsthaften Films in eine Komödie:<br />

›Die Szene mit der Rolltreppe wird von einer dramatischen Sinfonie von Sibelius untermalt. Die Filmmusik und<br />

der Titel führen dazu, dass die Gesichter der Menschen während der New Yorker Rushhour besonders ernst wirken;<br />

es sind leere Gesichter. Als die Rolltreppen-Szene endet und der Nachspann über den Bildschirm läuft,<br />

wechselt die Musik zu jener, die bei Stierkämpfen in den Pausen gespielt wird ... Schnell wird der Film zu einer<br />

Komödie, als die lange Besetzungsliste über den Bildschirm läuft: Mann, der von seiner Frau nicht verstanden<br />

wird, Flüchtling, Einwanderer, Pornograf, Ghostwriter, und so weiter bis der Zuschauer meint, dass jede Person<br />

auf der Rolltreppe erwähnt wurde.‹<br />

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