Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR - Universität St.Gallen
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Kapitel 4: Die Interessentheorie<br />
Aquaplaning realisiert. 489 Der Kriminelle, <strong>der</strong> auf jemanden schiesst, handelt auch<br />
dann schuldhaft, wenn sein Opfer durch einen Querschläger verletzt wird und nicht<br />
wie vorgesehen direkt durch den Schuss. Die gefährdete Person, <strong>der</strong> Schadenseintritt<br />
und das mit dem Abfeuern <strong>der</strong> Waffe verbundene Gefahrenpotenzial waren für<br />
den Schützen voraussehbar und das Gefahrenpotenzial hat sich in seiner typischen<br />
Form realisiert. 490<br />
Die Voraussehbarkeit ist nicht bloss auf das visuelle Erkennen beschränkt. Der<br />
Schädiger hat unter Umständen auch hypothetische Kausalabläufe vor dem „geistigen<br />
Auge“ zu sehen, insofern kann die mangelnde visuelle Erkennbarkeit unter<br />
Umständen durch die Vorstellungskraft des Schädigers kompensiert werden. 491 So<br />
vermag <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>er, <strong>der</strong> beim Spaziergang einen <strong>St</strong>ein den Berg hinunterwirft,<br />
die <strong>nach</strong>folgende Wan<strong>der</strong>gruppe vielleicht nicht zu sehen, er kann sich jedoch<br />
vorstellen, dass <strong>nach</strong>folgende Wan<strong>der</strong>er möglicherweise von seinem Wurfgeschoss<br />
getroffen werden.<br />
Legt <strong>der</strong> Schädiger jedoch seinen Überlegungen einen falschen Sachverhalt zugrunde,<br />
geht er z.B. davon aus, es handle sich bei einer Waffe um eine Spielzeugpistole<br />
o<strong>der</strong> die Waffe sei ungeladen, irrt er sich über ein wesentliches Glied <strong>der</strong><br />
Kausalkette und den Erfolgseintritt. 492 Zielt er deshalb auf eine Person und zieht<br />
489 Vgl. Spitzhackenurteil BGH VersR 1961, 465, zitiert <strong>nach</strong>: HONSELL, § 3 N 7: Bei<br />
<strong>St</strong>einarbeiten mit einer Spitzhacke wurde <strong>der</strong> Geschädigte von einem Splitter im Auge<br />
getroffen. Entgegen aller Erwartungen handelte es sich dabei nicht um einen <strong>St</strong>einsplitter,<br />
son<strong>der</strong>n um einen <strong>St</strong>ahlsplitter, <strong>der</strong> sich von <strong>der</strong> Spitzhacke löste. Obwohl <strong>der</strong> Kausalverlauf<br />
atypisch war, konnte <strong>der</strong> Schaden selbst als typisch bezeichnet werden. Bei<br />
<strong>St</strong>einarbeiten mit einer Spitzhacke sind wegfliegende Splitter eine normale Erscheinung,<br />
weshalb eine Haftung bejaht wurde.<br />
490 ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 214; kritisch zur Eignung <strong>der</strong> Voraussehbarkeit <strong>der</strong><br />
möglicherweise Geschädigten und <strong>der</strong> Realisierung des geschaffenen Gefahrenpotenzials,<br />
KEETON, S. 283 ff.<br />
491 Vgl. OFTINGER/STARK I, § 1 N 31 (Fn. 52): STARK unterscheidet zwischen <strong>der</strong> Voraussehbarkeit<br />
abstrakter und konkreter Kausalketten. Je <strong>nach</strong> Gefährlichkeit <strong>der</strong> Tätigkeit<br />
hat <strong>der</strong> Schädiger nicht bloss die direkt erkennbaren Folgen seines Verhaltens zu berücksichtigen,<br />
son<strong>der</strong>n gerade auch Faktoren mit einzubeziehen, die ihm zwar verborgen<br />
bleiben, aber zumindest vorgestellt werden können.<br />
492 OFTINGER/STARK I, § 5 N 37.<br />
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