Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR - Universität St.Gallen
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Kapitel 2: Die Objektive Wi<strong>der</strong>rechtlichkeitstheorie<br />
kann, dass er zu schnell fährt. Objektiv betrachtet, hat er die Höchstgeschwindigkeit<br />
überschritten und handelt wi<strong>der</strong>rechtlich, da aber auch ein Durchschnittsmensch<br />
die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht hätte erkennen können, handelt<br />
er nicht schuldhaft. 268 Schutznormverletzung und Sorgfaltspflichtverletzung divergieren<br />
und sind daher separat zu prüfen.<br />
HONSELL lehnt die Ansicht ab, wo<strong>nach</strong> <strong>der</strong> Massstab für die Pflichtwidrigkeit im<br />
Sinne <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>rechtlichkeit abstrakter und strenger sei als für die Sorgfaltswidrigkeit<br />
im Sinne des Verschuldens. 269 Nach ihm bringt die Objektivierung des<br />
Verschuldensbegriffs mit sich, dass die <strong>Begriff</strong>e Sorgfaltswidrigkeit und Rechtswidrigkeit<br />
identisch sind. Damit wird das Verhalten zweimal <strong>nach</strong> demselben<br />
Massstab geprüft, einmal beim Verschulden und einmal bei <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>rechtlichkeit,<br />
was theoretisch und systematisch unerwünscht ist. HONSELL schlägt deshalb vor,<br />
dass die Verletzung <strong>der</strong> objektiven Sorgfalt nur bei <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>rechtlichkeit zu prüfen<br />
und das Verschulden auf die Prüfung <strong>der</strong> Urteilsfähigkeit zu beschränken<br />
sei. 270<br />
Eine abschliessende Antwort, welcher Ansatz vorzuziehen ist, kann hier nicht<br />
gegeben werden. Wendet man den <strong>nach</strong> herrschen<strong>der</strong> Lehre geltenden objektivierten<br />
Verschuldensbegriff an, dürfte die Grenze zwischen Sorgfaltspflichtverletzung<br />
und Schutznormverletzung unscharf werden, zumal Schutznormen im Grunde das<br />
Verhalten kodifizieren, welches als sorgfältig gilt. Bei ungeschriebenen Schutznormen<br />
dürfte die Abgrenzung noch schwieriger ausfallen, hat hier <strong>der</strong> Richter<br />
doch gleichzeitig zu bestimmen, welches Verhalten von <strong>der</strong> Rechtsordnung als<br />
rechtmässig und zudem als sorgfältig zu betrachten ist.<br />
Die Schutznormtheorie verträgt sich deshalb schlecht mit dem objektivierten<br />
Verschuldensbegriff. Wird am Wi<strong>der</strong>rechtlichkeitsbegriff <strong>der</strong> Schutznormtheorie<br />
268<br />
P<strong>OR</strong>TMANN, S. 279.<br />
269<br />
HONSELL, § 6 N 22; vgl. auch ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 228, 231: Bei <strong>der</strong> Sorgfaltspflichtverletzung<br />
sei auf die Kriterien <strong>der</strong> Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit zu<br />
verzichten, weshalb Sorgfaltswidrigkeit und Rechtswidrigkeit zusammenfallen.<br />
270<br />
HONSELL, § 6 N 21.<br />
77<br />
221<br />
222<br />
223