Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR - Universität St.Gallen
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4 Praktische Anwendung <strong>der</strong> Interessentheorie<br />
Das Erfor<strong>der</strong>nis <strong>der</strong> Einwilligung des Patienten ist auch notwendig, wenn eine<br />
risikoreiche Operation mit unsicherem Ausgang durchgeführt werden soll. Nur<br />
wenn eine bestimmte Aussicht auf Heilung besteht, lässt sich aus objektiver Sicht<br />
feststellen, dass mit <strong>der</strong> Operation das Interesse auf Schutz <strong>der</strong> körperlichen Integrität<br />
durch die Aussicht auf Heilung aufgewogen wird. Besteht indessen nur geringe<br />
Aussicht auf Erfolg, ist dies nicht <strong>der</strong> Fall. Hier hat <strong>der</strong> Patient durch Einwilligung<br />
das zusätzliche Risiko <strong>der</strong> Operation auf sich zu nehmen und im selben<br />
Mass auf den Schutz seiner körperlichen Integrität zu verzichten. Um auf das Beispiel<br />
zurückzukommen, wäre die Durchführung einer risikoreichen o<strong>der</strong> experimentellen<br />
Operation an einem bewusstlosen Patienten wi<strong>der</strong>rechtlich, da keine<br />
Einwilligung vorliegt.<br />
Auch bei ärztlichen Eingriffen ist die Interessenlage meist ähnlich. Es lassen sich<br />
deshalb gewisse Verhaltenspflichten generalisieren. Der Arzt hat bei seiner Tätigkeit<br />
stets die Regeln <strong>der</strong> ärztlichen Kunst einzuhalten, da erst dann die Erfolgsbzw.<br />
Heilungschancen gegeben sind. Überwiegen die Erfolgs- und die Heilungschancen<br />
bei einer bestimmten Operation, ist aus Sicht des Haftpflichtrechts die<br />
Vornahme <strong>der</strong> Operation grundsätzlich zulässig. Bei risikoreichen Operationen<br />
o<strong>der</strong> rein kosmetischen Eingriffen muss <strong>der</strong> Arzt aber zudem die Einwilligung des<br />
Patienten einholen, denn nur dann überwiegen ästhetische o<strong>der</strong> kosmetische Interessen,<br />
respektive nur so lässt sich das erhöhte Operationsrisiko auf den Patienten<br />
abwälzen.<br />
4.1.3 Unglückliches Aufstehen von einem Barhocker<br />
Beim sogenannten „Barhockerfall“ hatte das Basler Appellationsgericht die Problematik<br />
von Reflexhandlungen zu beurteilen. 566 Die Klägerin wurde geschädigt,<br />
als die neben ihr sitzende Beklagte aufstand, stürzte und sich an <strong>der</strong> Klägerin aus<br />
Reflex festhielt und zu Boden zog. Die Klägerin fiel dabei so unglücklich, dass sie<br />
566 Urteil des AppGer BS vom 5. November 1999 in Sachen H.G. gegen S.Z.-L. abgedruckt<br />
in: BJM 2001, S. 296–301.<br />
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