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Hölderlins Hymne “Der Ister” - gesamtausgabe

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20 Das Dichten des Wesens der Strdme<br />

4. H iilderlins Dichtung nicht sinnbildlich metap hy sis ch'<br />

Das uerborgene Wesen des Stromes<br />

Im Gang der Geschichte der abendliindischen Metaphysik und<br />

Kunst ersiheint nun aude Htilderlins Dichtung' Wir liijnnen<br />

sie sogar zeitiich genau in diesen Geschichtszusammenhang<br />

einordnen. Die Entstehung der <strong>Hymne</strong>n fiillt in die Jahre 1800<br />

bis 1806. Genau dieselbe Zeitspanne umfaBt die Zeit der Entstehung<br />

des Hauptwerkes im Denken Hegels, der >>Phdnomenologie<br />

des Geistes< (1807). Hegel, der Denker, war der Freund<br />

des Diehters Hiilderlin in der gemeinsamen Studentenzeit in<br />

Tiibingen, aber audr spd.ter wdhrend der gemeinsamen Jahre<br />

in Frankfurt bis 1799. Daher wird auch Hijlderlins Dichtung,<br />

wenn sie Kunst ist, metaphysisch und d. h. >sinnbildlich< sein.<br />

Die in seinen Gedichten besungenen deutschen Strijme, der<br />

Main, der Neckar, die Donau, der Rhein, sind die >Sinnbilder<<br />

deutschen Wesens und Lebens. Nichts hindert uns, die Stromdichtungen<br />

Hijlderlins nach dieser Hinsicht und in solcher !Veise<br />

zu deuten.<br />

Vielleicht ist zwar der Sinn, den Htilderlin diesen Strombildern<br />

gibt, schwerer auszumadren als der Gehalt anderer<br />

Dichtungen anderer Dichter, die auch Striime und Fliisse und<br />

B2iche und das Meer und die Seen besingen. Diese grii8ere<br />

Sdawierigkeit der Deutung mag darin ihren Grund haben, da8<br />

Hijlderlin geheimnisvoller dichtet, vielleidrt auih darin, daB<br />

seine Dichtung vielfach unvollendet geblieben ist und auch zuweilen<br />

scion von dem drohenden Wahnsinn iibersdeattet und<br />

verwirrt wird.<br />

Allein, die Strijme sind in Hiilderlins Dichtung keineswegs<br />

nur gradweise schwerer zu deutende Sinnbilder. Wdren sie das,<br />

dann blieben sie im Wesen immer noch >>Sinnbilder>Striime< kiinnen daher auch nicht<br />

als Symbole hijherer Stufe und >tieferen< >religiiisen< Gehaltes<br />

gelten. Hiilderlins <strong>Hymne</strong>ndichtung, die nach 1799 den<br />

Dichter bestimmt, ist iiberhaupt nicht sinnbildlich.<br />

Das uerborgene Wesen des Stromes<br />

Aber dann miif3te ja diese Dichtung nach dem Gesagten<br />

-,.r,i"."frtfri" au$erhalb der Metaphysik *nd damit augerhalb<br />

lllW"r"otbereiches<br />

der abendldndischen Kunst stehen' Dann<br />

;;;"" alle iiblichen Auslegungen und Deutungen dieser Ge-<br />

Ji.h," o".g"biich, weii alle Interpretation ihr Werkzeug und<br />

ihr"n A.,fwand unbesehen der Metaphysik und der metaphy-<br />

,ir.h"o Kunstlehre, d' h' der Asthetik entnimmt'<br />

lVenn nun aber die Strijme in Htjlderlins Dichtung in<br />

Wahrheit keine >Sinnbilder< sind, was sollen sie dann sonst<br />

sein? Wie sollen wir dann noch von ihnen etwas wissen k6nnen,<br />

wo doch all unser Wissen' und die Wissenschaft erst recht' in<br />

der Metaphysik Grund und Halt hat? Fast scheint es so' als<br />

sagte der Dichter selbst, da8 wir von den Strijmen nidrts wissen<br />

kiinnen. Die Ister-<strong>Hymne</strong> schlieBt, genauer: sie hiirt auf'<br />

mitdemWort:<br />

Was aber jener thuet der Strom,<br />

Weis niemand.<br />

VerstijBt dann also schon das geringste Bemiihen, auf diese<br />

Stromdichtung aufmerksam zu machen, gegen das eigene<br />

Wort des Diihters? Nein. Die angefiihrten Verse sagen' daB<br />

das Strijmen des hier genannten Stromes ein Tun zu eigener<br />

Zeit und daB es verborgen ist. Diese Verborgenheit des Tuns<br />

des Stromes zeichnet ihn aus. Von dieser Verborgenheit wei8<br />

der Dichter. Wie ktjnnte er es sonst sagen, daB niemand vom<br />

Tun des Stromes wisse? (Au8erdem aber miissen wir bedenken,<br />

daB dieses Wort, mit dem die Isterhymne abbricht, in einer<br />

eigenen Weise von jenem Strom gesagt wird, als welcher<br />

>>der Rhein.< im Unterschied (>>aber>Ister>dichterischeder scheinet. . .u)<br />

Das dichterisdre Wort enthiillt diese Verborgenheit des<br />

stromhaften Tuns, und zwar als ein solches. Dieses Enthiillen<br />

ist dichterisch. Was und wieviel der Gesang hier vermag, wenn<br />

2I

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