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Hölderlins Hymne “Der Ister” - gesamtausgabe

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84, Die Deuturug des Menscltenin Sophohles' Antigone<br />

Das Unheimliche als Grund des Menschen<br />

65<br />

mu8 hier audr das Unheimlidre seinen eigenen Wesensgrund<br />

entfalten, der im iibrigen Unheimlichen sich nidrt zeigt, y611<br />

er dort fehlt. Die e\nzige Art der Unheimlichkeit des IUsnschenwesens<br />

mu8 nun aber im Choriied selbst ans Licht konrmen,<br />

da dieses ausschlieBlich vom Mensdren sagt - freilich auch<br />

vorn Meer und von der Erde, von den Tieren der Wildnis pnd<br />

den Wettern, von Siechturn und Tod, von der Verstiindigkeit<br />

und dem Wort, von den Giittern und den Satzungen, denn zu<br />

all dem steht der Mensch im Bezug und all dieses hat je nach<br />

seiner Weise einen Zug und die Ziige des Furchtbaren, Gewaltigen<br />

und Ungewiihnlichen.<br />

Wenn nun der Mensch das hiichste 6erv6v ist und in iirm<br />

also das Wesen der 6er,v6qg in seiner einzigen Art erscheint,<br />

und wenn wir mit Recht dieses Wesen in der Unheimlichkeit<br />

sehen, dann kann, streng genommen, nur der Mensch rnit<br />

dem Namen >der Unheimliche< benannt werden.<br />

Aus den voraufgegangenen Erdrterungen iiber das lVesen<br />

der Strijme u'issen wir, daB Htilderlin ihr Wesen dichtet aus<br />

der dicirterischen Sorge um das Heimischwerden des geschich.tlich-abendliindischen<br />

Menschentums der Deutschen. Das<br />

Menschwerden ist Herkunft aus dem Unheimischen; das Heimische<br />

bleibt stets auf das Unheimis&e bezogen, dergestalt,<br />

da8 dieses in jenem anwest. Und wenn nun in der dichterischen<br />

Zwiesprache Hiilderlins mit dem Chorlied des Sophokles diese<br />

eigentliche dichterische Sorge des Heimischwerdens zur S;irache<br />

kommt, wird wohl ein innerer Bezug bestehen miissen zw'ischen<br />

dem Heimischwerden, d. h. Unheimisdrsein des lV1ensdeen,<br />

den Hijlderlin dichtet, :und, dem Mensihen, der von Sophokles<br />

al5 td Eer,v6totov gedichtet wird, rvas wir iibersetzen:<br />

das Unheimlichste. Wir deuten damit auf einen Zusarnrnenhang<br />

hin, der verrrutlich iiber den blo8 dufJeren Anklang der<br />

Wiirter >unheimisch< und >unheimlich< hinausreicht. In diesem<br />

Zusammenhang liegt nun auch der Grund, weshalb wir<br />

auf der zundihst gewaltsam anmutenden Ubersetzung des<br />

DeLv6v bestehen. Nun kann, redrt besehen, iiberhaupt der<br />

oewiihnliche<br />

Wortgebrauch, den das Wiirterbuch verzeichnet,<br />

irns kein" unmittelbare Auskunft geben, da im Chorlied das<br />

fuort<br />

Derv6v offenbar ein dichterisches lVort ist. Als solches<br />

fordert es sogar die Ubersetzung selbst dazu heraus,<br />

da-B sie dichtend iiber das Gebriiuctrliche hinauszugehen<br />

fichterisches<br />

versuche. Wohin, in welche Bedeutungsridltung, ist freilich<br />

llicht sogleich entscheidbar. Soll die (fbersetzung einer Dichtung<br />

selbst dichterisch sein, dann ist ein solcher Versuch, der<br />

von einer Dichtung des Sophokles gemacht werden muB, in<br />

seiner Vermessenheit einigerma8en leicht zu erkennen. Sogar<br />

Hiilderlin hat in seiner Ubersetzung des Wortes 0er'v6v geschrvankt.<br />

Es ist lehrreich filr uns, darauf zu achten. Die vollstiindige<br />

Ubersetzung der Antigone-Tragiidie des Sophokles<br />

hat Hiilderlin im Jahre 1804 ersdreinen lassen' Hier iibersetzt<br />

Hiilderlin den Beginn des Chorliedes so (V, 202):<br />

Ungeheuer ist viel. Doch nichts<br />

Ungeheuerer, als der Mensch.<br />

td 6ew6v ist das Ungeheuere. AuBer dieser Ubersetzung hat<br />

sich nodr das Bmchstiick einer friiheren Ubersetzung Hiilderlins<br />

erhalten, die Hellingrath in das Jahr 1801, also in das entscheidende<br />

Jahr der <strong>Hymne</strong>ndidrtung datiert. (V, 1) Dies<br />

Bruchstiick umfaBt nur die erste Strophe des Chorliedes. Die<br />

Ubersetzung lautet hier :<br />

Vieles gewaltige giebts. Doch nichts<br />

Ist gewaltiger, als der Mensch'<br />

rd 0er,v6v ist hier das Gewaltige. Wenn uns iiberhaupt eine<br />

vergleiihende Beurteilung beider {fbersetzungen Hijlderlins erlaubt<br />

ist, darf gesagt werden, da0 die erstgenannte, also die<br />

zeitlich spdtere, wohl die reifere ist, didrterischer als die friihere.<br />

Zwar bringt diese durih die Ubertragung des 6er'v6v mit<br />

>gewaltig< einen Wesenszug des 0elv6v zum Vorschein, der auf<br />

das deutet, was die Griechen sonst die 6gp{ nennen - das drdngende<br />

aus sich Aufbrechen und Hervorbrechen - das >Gewalt-

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