Hölderlins Hymne “Der Ister” - gesamtausgabe
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54 Das Dichten des Wesens der Strdme<br />
sondem zugleich auf das Gewesene bezieht. Insgleichen geht<br />
das Schwinden nicht nur in das Gewesene, sondern ebenso in<br />
das Kommende. Geahnt wird zwar, na&' der gewiihnlichen<br />
Meinung, stets nur das Kornmende. Allein, aude das Gewesene<br />
liiBt sich ahnen. Das Gewesene erlangen wir als das Gewesene<br />
und so als das Wesende nur in der Erinnerung. Dodr das<br />
eigentliche Erinnern ist ein Ahnen; denn die eihte Erinnerung<br />
erschi;pft sich nicht darin, zu einem Vergangenen nur zuriickzukehren<br />
und dabei zu beharren und in solcher Beharrung<br />
beim Vergangenen sich zu verhd.rten. Solange das Erinnern<br />
nur ein Vergangenes bestarrt, ist es noch gar nicht Erinnern.<br />
Es geht nicht dem Inwendigen des Gewesenen nach und<br />
nimmt das Inwendige auch nicht in den Bezug zu der inneren<br />
Mitte, aus der das Erinnern selbst kommt. Das Erinnern bleibt<br />
als unechtes an der AuBenfliiche des bloBen Vergangenseins<br />
des >>Erinnerten< haften und bezieht diese AuBenfldche wiederum<br />
nur auf das gerade Gegenw6.rtige, was selbst nur das<br />
Au8enwendige des eigentlich Jetzigen ist.<br />
Echte Erinnerung ist Zuwendung zum unerschlossenen Inwendigen<br />
des Gewesenen. Echtes Erinnern ist ein Ahnen. VieIleicht<br />
ist die Erinnerung sogar ein urspriinglicheres Ahnen als<br />
dasjenige, das nur in ein Kommendes hinausvermutet. Und<br />
vollends wdre die Erinnerung dann die tiefste Ahmrng, wenn<br />
das I(ommende, worauf das Ahnen sonst geht, aus dem Gewesenen<br />
kommt. Das Ahnen und gar erst die Ahnungsvollen reichen<br />
und gehen zumal in das Kommende und Gewesene. Insgleichen<br />
aber ist das Schwinden der Schwindenden nicht nur<br />
das grobe Verschwinden in das Erledigte und Vergangene.<br />
Wegschwinden kann auch sein: das unauffdllige Weggehen in<br />
das Kommende, in die entschiedene Zugehiirigkeit zu diesem.<br />
Solches Wegschwinden in das Kommende kehrt dem Gewesenen<br />
nicht den Riicken. Das Gewesene ist ihm vielmehr aus dessen<br />
eigener Wesensfi-ille vertraut, so da8 das Wegschwinden<br />
in das Kommende gar nicht erst einer nachtriiglichen Zuwendung<br />
zum Gewesenen bedarf.<br />
Die Strdrne in >Stimme desVolkeso<br />
Der Strom ist zumal der in einern gedoppelten Sinne<br />
Srhwindende<br />
und Ahnungsvolle. Dem Strom eignet so die<br />
itill" d"r lVesens der Wanderung. Der Strom ist Wanderung<br />
n"io", erfiillten einzigen Weise'<br />
Wir nennen das erfiillte Wesen der Wanderung die Wanderschaft,<br />
in der Entsprechung zur Ortschaft des Ortes. Der Strom<br />
ist die Wanderschaft. Wir sagen nicht, er sei ein >Bild< der<br />
Wanderschaft, etwa des Menschen auf seinem Weg von der<br />
Geburt zum Tod. Dieser Weg kann iiberdies christlich gedeutet<br />
werden als ein Durchgang durch das Irdische, das fiir ein Jammertal<br />
gilt. Dieser Durchgang ist dann eine Ableistung von<br />
Forderungen, durde deren Erfiillung der Besitz des Uberirdischen<br />
verdient wird. Von dieser christlichen Vorstellung eines<br />
irdischen Weges des Menschen ist das, was hier im Hinblick<br />
auf die Strijme Wanderschaft genannt wird, grundverschieden.<br />
Diese Wanderschaft, die der Strom selbst isf, bestimmt die Weise,<br />
wie der Mensch auf dieser Erde heimisch wird. Wenn Hijlderlin<br />
aber >Erde< sagt, meint er keineswegs das metaphysisch-christlich<br />
verstandene >IrdischeverlorenGrund< des Heimischen zu gewinnen.<br />
Hiilderlin hat eine <strong>Hymne</strong> gedichtet, deren Uberschrift hei8t<br />
>Die Wanderung