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WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International

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Symposium: Theologie und Seelsorge<br />

„Also, ich glaube, ich habe vieles noch nicht verstanden.<br />

Aber das ist ja bei Texten, die über 700 Jahre alt sind,<br />

eigentlich kein Wunder. Klar geworden ist mir allerdings,<br />

dass hier von einer ‚Gelassenheit‘ geredet wird, die etwas<br />

ganz anderes ist als das, was man sonst häufig mit diesem<br />

Begriff verbindet. Das ist ja keine Gleichgültigkeit und auch<br />

nicht die optimistische Erwartung, dass ‚es‘ schon gut gehen<br />

wird <strong>–</strong> die ist ja oft nur naiv. Hier ist ja eher gemeint, dass<br />

ein Mensch das los lässt, was ihn besetzt hält: die vielen<br />

Selbstverständlichkeiten, das allzu genaue Bescheidwissen,<br />

die Rezepte, was ‚man‘ zu tun oder lassen hat.“<br />

Auf der Rückfahrt im Zug fragt ihn dann Eva, ob ihm<br />

das alles denn geholfen habe, sich klarer zu werden, was er<br />

eigentlich wolle. Markus dazu: „Hm, eigentlich nicht. Nein,<br />

mein Wille ist nicht klarer geworden. Aber ich habe den Eindruck,<br />

ich kann etwas besser damit leben. Ich sag´s mal in<br />

frommen Worten: Selbst dann, wenn ich scheitere, liegt ja<br />

der ‚Same Gottes‘ immer noch in mir <strong>–</strong> und er will auch<br />

dann immer noch aufwachsen. Ja, ich darf Fehler machen…<br />

Aber was sind überhaupt Fehler? Vielleicht müssen wir auch<br />

diese Muster, die wir da in uns tragen, loslassen <strong>–</strong> um gelassen<br />

zu leben, vielleicht sogar ausgelassen!“<br />

Beide lachen, aber Eva wird schnell wieder ernst: „Also,<br />

ich habe manchmal an das gedacht, was ich über Existenzanalyse<br />

gelesen habe. Hat diese ‚Gelassenheit‘ nicht auch<br />

etwas mit der Selbstdistanz zu tun? Da trete ich doch einen<br />

Schritt zurück und verhindere einen Kurzschluss zwischen<br />

Reiz und Reaktion. Vielleicht ist ja manchmal das, was uns<br />

als ‚Wert‘ erscheint, ein bloßer Reiz und unser ‚Wollen‘ die<br />

irgendwie in uns angelegte Reaktion darauf.“<br />

Und Markus: “Ach, ich dachte, du wolltest Archäologie<br />

studieren. Oder meinst du die Archäologie der Seele?“<br />

Eva: „Das wäre auch interessant <strong>–</strong> aber ich denke immer<br />

noch an die Archäologie der Steine. Und weißt du, warum<br />

ich da sicherer geworden bin? Erinnerst du dich an das ‚ohne<br />

Worumwillen‘? Ja, es geht mir nicht um irgendetwas anderes<br />

bei diesem Studium: um Prestige, Geld, einen sicheren Job.<br />

Mir geht es wirklich um das Fach!“<br />

Markus, etwas bedrückt: „Soweit bin ich leider noch<br />

nicht. Mir ist noch nicht klarer geworden, was ich eigentlich<br />

will. Ich will vieles, zu vieles, Widersprüchliches auch. Dabei<br />

habe ich den Eindruck, dass das nicht nur aus nicht aufgeklärten<br />

Bedürfnissen, Sehnsüchten, Ängsten kommt, sondern,<br />

dass ich wirklich vor der Wahl zwischen Alternativen stehe,<br />

die mir alle wertvoll sind <strong>–</strong> aber die sich eben ausschließen.“<br />

Eva fragt: „Kann es sein, dass du erst einmal einen Schritt<br />

zurück treten musst, das Wollen erst einmal lassen musst,<br />

um bei dir selbst anzukommen? Vielleicht spürst du dann<br />

ja deutlicher, was DU in deinem Grunde wirklich willst…“<br />

Sie hätten sich noch viel zu sagen. Aber der erste Bahnhof<br />

ist erreicht und Markus muss aussteigen.<br />

Meister Eckhart (1979a), Von Abgeschiedenheit. In: Dietmar Mieth (Hrsg)<br />

Meister Eckhart, Olten: Walter<br />

Meister Eckhart (1979b), Vom edlen Menschen. In: Ebda<br />

Meister Eckhart (1979c), Predigt zu 1Joh 4,9. In: Ebda<br />

Meister Eckhart (1979d), Predigt zu Lk 10,38-42. In: Ebda<br />

Meister Eckhart (1979e), Reden der Unterweisung Nr. 6: J. Quint (Hg)<br />

Deutsche Predigten und Traktate, Zürich: Diogenes<br />

Meister Eckhart (1979f) Reden der Unterweisung Nr. 23. In: Ebda<br />

Meister Eckhart (2001) Predigt 52, Beati pauperes spiritu: Ders., Deutsche<br />

Predigten. Eine Auswahl, Stuttgart: Reclam<br />

Meister Eckhart (2004) Predigt 28: Ego elegi vos, in der Übertragung von<br />

Dietmar Mieth, Mystik und Lebenskunst, Düsseldorf : Patmos<br />

Rahner K (1983) Rede des Ignatius an einen Jesuiten von heute. In: Ders.,<br />

Schriften zur Theologie XV, Zürich / Einsiedeln / Köln: Benziger,<br />

373-408<br />

Literatur<br />

Längle A (2000) Die Willensstärkungsmethode (WSM): Existenzanalyse<br />

17 (2000) 1, 4-16<br />

Längle A (2002) (Hrsg) Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie,<br />

Wien: <strong>GLE</strong><br />

Anschrift des Verfassers<br />

Dr. theol. Werner Eichinger<br />

Schnaarsweg 23<br />

D <strong>–</strong> 28865 Lilienthal<br />

werner.eichinger@t-online.de<br />

EXISTENZANALYSE 29/2/2012 101

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