WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International
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Symposium: Theologie und Seelsorge<br />
Text findet sich im 7. Kapitel des Römerbiefes. Geschrieben<br />
wurde er wohl im Jahre 55 oder 56 n. Chr. von Paulus an die<br />
Gemeinde zu Rom, die er persönlich noch nicht kannte, die<br />
er aber besuchen wollte, um von dort aus die Mission des<br />
westlichen Europas zu beginnen. So zeigt dieser Brief neben<br />
vielen konkreten Anliegen auch programmatische Züge,<br />
insofern als Paulus sein Verständnis vom Evangelium hier<br />
grundsätzlich darlegt. Dabei ist die Gegenüberstellung von<br />
Gesetz und Evangelium entscheidend für die Bedeutung von<br />
Kreuzigung und Auferstehung Jesu.<br />
Was versteht Paulus unter Gesetz? Unter formalen Gesichtspunkten<br />
verwendet er diesen Begriff nicht einheitlich.<br />
Je nachdem kann er die einzelne Regel meinen, aber auch<br />
den Dekalog (10 Gebote), den Pentateuch (5 Bücher Mose)<br />
oder die alttestamentliche Überlieferung insgesamt. Doch in<br />
welcher Weise auch immer vom Gesetz gesprochen wird, ist<br />
inhaltlich mitgedacht, daß sich darin Gottes Wille geoffenbart<br />
hat, daß es für immer gültig ist und den Menschen als<br />
Geschöpf zum Gehorsam gegenüber seinem Schöpfer verpflichtet.<br />
Dieser fordert nun aber keinen Kadavergehorsam,<br />
sondern hat mit dem Gesetz den Weg zum Leben aufgezeigt<br />
(vgl. u. a. Ps 16,11).<br />
So jedenfalls ist es Konsens in der jüdischen Tradition.<br />
Paulus jedoch hat mit der Funktion des Gesetzes in seinem<br />
Leben andere Erfahrungen gemacht. Vor seiner Bekehrung<br />
zum Christentum, die als Damaskus-Erlebnis bekannt ist, ist<br />
Paulus ein Eiferer für die Einhaltung des Gesetzes. Als Angehörigem<br />
der Pharisäer ist es ihm ein schmerzhafter Dorn<br />
im Auge, daß das jüdische Gesetz bei den Christen offenbar<br />
nicht mehr unumstößlich in Geltung sein sollte. So hat er<br />
diese neue religiöse Gruppe verfolgt, wo er konnte. Durch<br />
seine Bekehrung aber wird Paulus ein innerer Konflikt bewußt,<br />
den er im Römerbrief folgendermaßen beschreibt:<br />
„Die Sünde aber nahm das Gebot zum Anlaß und erregte<br />
in mir Begierden aller Art, denn ohne das Gesetz war die<br />
Sünde tot. Ich lebte einst ohne Gesetz; als aber das Gebot<br />
kam, wurde die Sünde lebendig, ich aber starb. Und so fand<br />
sich‘s, daß das Gebot mir den Tod brachte, das doch zum<br />
Leben gegeben war.“ (V 8-10)<br />
Paulus ist also mit dem Gesetz als einer absoluten normativen<br />
Forderung in Berührung gekommen, die ihm seine<br />
sündige Existenz und seine Todesverfallenheit bewußt<br />
gemacht hat. Das Gesetz/Gebot (in Anlehnung an das 10.<br />
Gebot: „Du sollst nicht begehren“) hat das Gegenteil in ihm<br />
ausgelöst: Begehren aller Art, demgegenüber er sich als<br />
machtlos erfahren hat.<br />
Es geht hier wohlgemerkt um das Wesen des Begehrens,<br />
um das Verständnis von Sünde also in ihrem Kern, nicht um<br />
einzelnes Fehlverhalten, das vermeidbar wäre. Wir müssen<br />
Sünde hier verstehen als eine Art eigenständige Macht, die<br />
als jedem Menschen innewohnendes Begehren permanent<br />
präsent ist und darauf zielt, ihn Gott und dem Guten zu entfremden.<br />
Die Gottesferne aber ist Verfehlung menschlicher<br />
Bestimmung. Gottverlassenheit ist Tod, Uneigentlichkeit,<br />
Sinnlosigkeit schon vor dem leiblichen Tod. So hat das Gesetz,<br />
das eigentlich heilig und gut ist, weil lebenverheißend,<br />
de facto durch die Sünde eine tödliche Wirkung entfaltet.<br />
Das Vorleben von Paulus ist ein signifikantes Beispiel dafür,<br />
wie dieser innere Konflikt zunächst durch Projektion abgewehrt<br />
wurde. Der Neutestamentler Gerd Theißen, der über<br />
psychologische Aspekte paulinischer Theologie gearbeitet<br />
hat, formuliert dazu: „Der demonstrative Gesetzesstolz des<br />
Pharisäers Paulus war Reaktionsbildung auf einen unbewußten<br />
Gesetzeskonflikt, in dem das Gesetz zum angstauslösenden<br />
Faktor geworden war. Paulus konnte sich damals<br />
sein Leiden unter dem Gesetz nicht eingestehen. Als aber<br />
durch die Begegnung mit Christus die Hülle von seinem<br />
Herzen fiel, erkannte er die Schattenseiten seines Gesetzeseifers.“<br />
(Theißen 1983, 244)<br />
Für das Erleben des Konfliktes hat der persönliche Wille<br />
und seine Begrenztheit eine entscheidende Rolle gespielt.<br />
Paulus beschreibt das so: „Wollen habe ich wohl, aber das<br />
Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich<br />
will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will,<br />
das tue ich“, tatsächlich aber: „die Sünde, die in mir ist.“ (V<br />
18b+19+20b).<br />
Da kämpfen also gewissermaßen zwei Mächte gegeneinander.<br />
Auf der einen Seite steht das Ich mit seinem νοũς/Verstand,<br />
auch inwendiger Mensch bei Paulus genannt, der das<br />
Gute erkennt und anstrebt, auf der anderen Seite die Macht<br />
der Sünde, des Begehrens, die von der σάρξ ausgeht, vom<br />
Fleisch. Fassen wir dieses Begehren nun nicht reduktio-nistisch<br />
als sexuelles Begehren auf, sondern als ein sich auf<br />
alles Mögliche richtendes Streben, sicher auch des ichbezogenen<br />
Lustgewinnes, genauso aber auch des Absicherns und<br />
der Angstbewältigung. Paulus hat sicher keine Probleme<br />
damit gehabt, den Versuchungen eines ausschweifenden Lebens<br />
zu trotzen; seine Lebensfrage war vielmehr: Wie finde<br />
ich Heilsgewißheit für mein Leben? Was macht mich sicher,<br />
daß ich von Gott angenommen und geliebt bin? Wie bleibe<br />
ich in der Gemeinschaft mit Gott? Wie bleibt mein Leben<br />
bewahrt über den Tod hinaus?<br />
Der Weg des Gesetzes hat sich für Paulus dabei als<br />
fataler Irrweg erwiesen, weil das Gesetz als absolute Forderung<br />
für jeden Menschen unerfüllbar ist, ja noch mehr:<br />
Weil eine auf eigener Leistung beruhende Gesetzeserfüllung<br />
sich gegen Gott richten würde, insofern Stolz darüber und<br />
Selbstruhm von Gott wegführen. Folglich geht es Paulus bei<br />
der Beschreibung des Willens, der zwar das Gute erkennt,<br />
aber es nicht vollbringen kann, nicht um eine Willensschwäche,<br />
der man aufhelfen könnte (etwa durch die Willensstärkungsmethode),<br />
sondern es geht darum, daß sich sein Wille<br />
zwar einerseits auf einen Wert richtet (das Gesetz), aber daß<br />
er gleichzeitig auch ein Getriebener ist, der sein Ziel nicht<br />
erreicht, der nicht lassen kann und nicht zur Ruhe findet,<br />
der sich auch nicht selbst helfen kann. Folgerichtig mündet<br />
die Beschreibung dessen auch in den Hilferuf: „Ich elender<br />
Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen<br />
Leib?“ (V 24)<br />
Man kann davon ausgehen, daß Paulus in Röm 7 die<br />
Aussichtslosigkeit seines Tuns in Worte faßt, wie er sie<br />
vor seiner spirituellen Begegnung mit Christus erlebt hat.<br />
EXISTENZANALYSE 29/2/2012 103