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WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International

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Symposium: Pädagogik<br />

chen, die für diesen in dieser komplexen situativen Realität<br />

eine Aktivierung des eigenen Willens darstellt.<br />

Das Wollen der Schüler wird in einem auf die Person<br />

bezogenen Unterricht aktiviert, indem dem Schüler in Projekten,<br />

Gruppenarbeit und über eine persönliche Ansprache<br />

erlaubt ist, Abgrenzung und Nähe zum Lerngegenstand, den<br />

Mitschülern und dem Lehrer zu entwickeln. Die Auseinandersetzung<br />

mit dem Unterrichtsgegenstand lässt das Sollen<br />

(Längle 2012, 35-73) und die Selbstermächtigung hinsichtlich<br />

selbsttranszendenter Unterrichtsinhalte aus einem angebotenen<br />

Weltpol zu einer motivierenden Voraussetzung situativ<br />

umgesetzten Wollens im Lernprozess werden. In diesem<br />

aktiviert insbesondere die Anfrage der Situation, die über den<br />

Willen zum Sinn (Frankl 1983) zu einer inneren Zustimmung<br />

zum Unterrichtsgegenstand und zu einem für den Lehrer und<br />

die Mitschüler sichtbaren Ergebnis, dem Verstehen-Wollen<br />

des Ausschnitt des Weltpols, führt.<br />

Dieses Verstehen-Wollen ist jedoch an gewisse Rahmenbedingungen<br />

gebunden, die der Lehrer auf Grundlage einer<br />

existentiellen Pädagogik und Didaktik in seine Unterrichtsplanungen<br />

einbeziehen sollte. So ist es unverzichtbar, dem Schüler<br />

sowohl zeitliche als auch räumliche Freiräume anzubieten, in<br />

denen er das erspürte Eigene, das zunächst durch affektiven Zugang<br />

und emotionale Zuwendung zum Unterrichtsgegenstand<br />

erreicht wird, einbringt. Ist dem Schüler in diesem Freiraum ein<br />

innerer Dialog mit dem Unterrichtsthema möglich, kann eine<br />

zielgerichtete Auseinandersetzung mit der situativen Anfrage<br />

während des Unterrichts- bzw. Lernprozesses erfolgen, die in<br />

Ankopplung an personal wirkende Werte dem Schüler ein Sinnerleben<br />

in diesem Prozess vermitteln.<br />

Nur der eigene Wille des Schülers führt in dieser Situation<br />

zur Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand. Der Lehrer<br />

ist gefordert, für diesen Freiraum, der die Fehlertoleranz als<br />

Voraussetzung der Annahme der Person umfasst, loszulassen<br />

und den Unterricht der Entfaltung der Potentialitäten der<br />

Schüler anzuvertrauen. Dazu erfordert es eine Lehrergrundhaltung,<br />

die auf das Entwicklungs- und Werdenspotential der<br />

Schüler vertraut. In einem solchen Unterricht, der auf die Entfaltung<br />

von Potentialitäten der Schüler gerichtet ist, erweist<br />

sich der Lernprozess als etwas, das zur inneren Erfüllung<br />

führt und somit für transzendental verantwortliches Handeln<br />

Wege ebnet.<br />

Obwohl auch ohne expliziten Rückbezug auf eine existentielle<br />

Pädagogik und Didaktik Möglichkeiten zu einem personbezogenen<br />

Unterricht vorliegen, gelingt dieser häufig nicht.<br />

Als Gründe liegen oft Blockaden des Wollens vor, die sowohl<br />

auf Schüler- als auch auf Lehrerseite festzustellen sind. Um<br />

die Komplexität dieser Zusammenhänge bewältigen zu können,<br />

beschreibe ich im folgenden einige Blockaden, die es dem<br />

Lehrer einfach schwerer machen, loszulassen und damit Schülern<br />

die notwendigen Freiräume zu geben, mit denen sie sich<br />

personal auf den Unterrichtsgegenstand einlassen können.<br />

Blockaden des Wollens im Unterricht<br />

Blockaden des Wollens ergeben sich trotz sinngebender<br />

Perspektiven in der situativen Auseinandersetzung mit dem<br />

Unterrichtsgegenstand. Diese entstehen aus Behinderungen<br />

existentiellen Lebens, die im Können, Mögen, Dürfen oder<br />

Sollen liegen und auf die Unterrichtsgestaltung und -durchführung<br />

wirken. Dabei scheint es schwierig, die vielfältigen<br />

Blockaden, die aus den unterschiedlichen Coping-Reaktionen<br />

(Längle 2008, 129-153) resultieren, im Rahmen dieser Abhandlung<br />

hinlänglich zu beschreiben.<br />

Diese sind sowohl auf der Schüler- als auch auf der Lehrerseite<br />

umfangreich gegeben. An dieser Stelle soll nur auf<br />

einige angstauslösende Gegebenheiten eingegangen werden,<br />

die wegen vorliegender Bedrohung, sich einstellender Leere,<br />

zunehmender Belastung und zurückliegender Verletzungen<br />

ein freies Erleben, eine authentische Stellungnahme und ein<br />

verantwortliches Handeln erschweren, da die eigene Freiheit<br />

dazu nicht mehr gegeben ist (Längle 2009b, 23-24).<br />

So lässt sich nachvollziehen, dass ein Lehrer, der seit mehreren<br />

Monaten geschieden ist und nicht weiß, wie er den Unterhalt<br />

für seine Frau, für seine zwei Söhne und für die Ratenzahlungen<br />

für die Eigentumswohnung weiter aufbringen soll,<br />

zunehmend den Boden unter den Füßen zu verlieren scheint.<br />

Inwiefern er ein Loslassen für einen personal gestalteten Unterricht<br />

bzw. Lernprozess unter diesen Rahmenbedingungen<br />

und in der eigenen Verantwortung für diesen Unterricht, in<br />

dem es erstrebenswert wäre, den Schülern Freiräume zu geben,<br />

überhaupt noch leisten kann, ist fraglich.<br />

Stattdessen sind Reaktionen zu erwarten, die bis zur Erstarrung<br />

angesichts der finanziellen Überforderung gehen<br />

und ihn auf Basis der emotionalen Zuständlichkeit aufgrund<br />

der eigenen Situation unspezifisch gegen ihm zu mächtig erscheinende<br />

Freiräume, auch die des Unterrichts, ankämpfen<br />

lassen. Vor den Anforderungen eines existentiell verstanden<br />

Unterrichts wird er entfliehen und oft den Unterricht nur als<br />

beruflich notwendige Nebensache begreifen. Die Situation<br />

anzunehmen und auszuhalten sowie die ursprünglichen Lebensplanungen<br />

loszulassen, ist als personale Aktivität notwendig<br />

für ihn, aber nicht ohne Weiteres leistbar.<br />

Oft wahrnehmbar ist, dass ein seit etlichen Jahren im<br />

Schuldienst tätiger Lehrer immer wieder festzustellen meint,<br />

dass die Schüler bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit immer<br />

weniger können und wollen. Gemäß dieser Wahrnehmung<br />

und Perspektive tritt eine Ratlosigkeit hinsichtlich der eigenen<br />

Vision ein, es zum Beispiel besser zu machen als die eigenen<br />

Lehrer, von denen er früher unterrichtet worden war. Es entsteht<br />

angesichts dieser Grundhaltung ein Gefühl der Leere,<br />

das hinsichtlich der Aufgaben des Lehrers weder Selbstdistanz<br />

noch Selbsttranszendenz erlauben.<br />

Sein Lehrerhandeln aus dem ursprünglich motivierenden<br />

Sinn heraus gibt nicht mehr genügend Kraft, da der eigene<br />

Wert als Attraktor verloren geht und somit den Lernprozessen<br />

der Schüler nicht mehr im Vertrauen auf ihre in Freiheit<br />

mögliche Zuwendung zu den Werten, die sich im Unterrichtsgegenstand<br />

offenbaren, begegnet werden kann. Stattdessen<br />

nehmen Entwertungen und nichtende Stellungnahmen zum<br />

erlebten Schülerverhalten und zu den Schülerleistungen zu.<br />

Der Lehrer kann durch diesen Sinnverlust einen dialogisch<br />

vermittelten Austausch mit beziehungsstiftenden Anfragen<br />

auf Grundlage der Annahme der Schüler nicht mehr<br />

erreichen, so dass er sich immer weniger auf einen Person<br />

bezogenen Unterricht einlässt, die Unterrichts- und Lernprozesse<br />

zunehmend verzweckt, indem er das Unterrichtsgeschehen<br />

wesentlich mit Abschlussprüfungen und Anforderungen<br />

EXISTENZANALYSE 29/2/2012 95

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