WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International
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Symposium: Pädagogik<br />
des Curriculums begründet. Hingabe und verantwortliche Tätigkeit<br />
im Rahmen seiner Erziehungs- und Unterrichtstätigkeit<br />
sowie Verbundenheit mit seinen Schülern und den gemeinsam<br />
intendierten Lernprozessen als personale Stellungnahme sind<br />
für ihn kaum noch zu erreichen.<br />
Nicht selten führen Lehrer, die ihren Beruf mögen, auf,<br />
dass Unterricht schwieriger geworden ist. Diesen Schwierigkeiten<br />
folgt in Verbindung mit familiären oder finanziellen<br />
Problemen bisweilen der „burn-out“, der oft zu einer mehrmonatlichen<br />
Auszeit vom aktiven Schuldienst führt. Die Wiedereingliederung<br />
in den aktiven Schuldienst lässt die alltägliche<br />
Arbeit als Lehrer und Erzieher, vor allem die Anforderungen<br />
des Unterrichts, nicht selten zu einer erneuten Überforderung<br />
und Belastung werden, die den Lehrer zum Rückzug veranlassen.<br />
Eine aktive Auseinandersetzung mit seiner Situation führt<br />
zu teilweise kontraproduktiven Leistungsanforderungen von<br />
den Lehrern selbst, zu unspezifischer Wut, die richtungslos<br />
agiert wird, oder zu Lähmungen hinsichtlich der Anforderungen<br />
eines Person bezogenen Unterrichts. Zu wenig ist es dem<br />
Lehrer in Unterrichts- und Lernprozessen dann möglich, als<br />
personale Stellungnahme Nähe zu den Schülern oder Kollegen<br />
zu halten, sich ihnen sowie dem Unterrichts- und Lernprozess<br />
vertrauensvoll zuzuwenden, sich von Unterrichtsgegenständen<br />
als Teil des Weltpols oder den Werdenspotential<br />
der Schüler berühren zu lassen sowie über die eigene Situation<br />
zu trauern, um einen neuen existentiellen Zugang zu Erziehung<br />
und Unterricht zu bekommen.<br />
Im Schulalltag fallen häufig Missstimmungen von Lehrern<br />
wegen übertrieben anmutender Kritik ihrer Schüler auf,<br />
die den betroffenen Pädagogen häufig an die mangelnde<br />
Wertschätzung ihrer Eltern für ihre eigenen Ideen und Ideale<br />
erinnern. Die dabei hervorgerufenen zuständlichen Gefühle<br />
sind für ihn selbst kaum verstehbar, da der Lehrer doch jetzt<br />
scheinbar durch sein Studium für das Lehramt seinen eigenen<br />
Weg gefunden hat. Gegen diese Verletzungen werden Coping-<br />
Reaktionen eingesetzt, die situativ durchaus verständlich sein<br />
können, allerdings in ihrer emotionalen Stärke und Wucht für<br />
alle Beteiligten eine existentielle Begegnung erschweren.<br />
So findet in der dialogischen Auseinandersetzung eine<br />
Distanzierung aus der zuständlichen Gefühlslage heraus statt,<br />
die auf Rettung der eigenen Person und nicht auf eine personale<br />
Interaktion ausgerichtet ist. Der Lehrer hat als Folge<br />
den Anspruch, ohne die emotionale Wucht der erlebten Verletzung<br />
zu funktionieren und erwartet dieses Funktionieren in<br />
einer reziproken Erwartungshaltung entsprechend ebenfalls<br />
von seinen Schülern.<br />
Das Einfordern der personalen Einbeziehung und Ansprache<br />
seitens der Schüler verengt den Handlungsspielraum des<br />
Lehrers zunehmend, der in seiner Not mit Ärger und Groll reagiert.<br />
Dissoziative und die Person des Schülers abspaltende<br />
Erwartungen aus dem Unterrichtsinhalt, der schließlich durch<br />
die Abschlussprüfung und das Curriculum vorgegeben sein<br />
soll, machen den Unterrichts- und Erziehungsprozess dann<br />
nur noch zu einem Raum, in dem das Eigene gerettet und gegen<br />
die Schüler verteidigt werden muss. Die personale Aktivität<br />
des Bereuens seines die Schüler übergehenden Verhaltens<br />
sowie der apersonalen Unterrichtsgestaltung fallen schwer.<br />
Eine Begegnung mit dem Schüler wie auch mit Kollegen<br />
findet kaum noch statt, da das Ansehen des Anderen immer<br />
unter dem Vorbehalt der Coping-Reaktion, das Eigene zu<br />
retten und nicht verletzen zu lassen, geschieht. Die eigene<br />
Stellungnahme und Abgrenzung erweist sich als emotional<br />
unüberbrückbare Mauer, die gegen die Anderen, Schüler und<br />
Kollegen, aus Gründen der Rettung des Eigenen errichtet<br />
worden ist. Ein dialogischer Austausch und eine personale<br />
Begegnung, die existentielle Elemente für einen Person bezogenen<br />
Unterricht sind, sind so nicht zu erreichen.<br />
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allensbach-studie-das-groesste-problem-der-lehrer-sind-ihreschueler-1.1340348<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
OStD Dr. phil. Hans-Jürgen Strauch<br />
Johann-Brand-Weg 10<br />
D-28357 Bremen<br />
hans-juergen.strauch@beratung-strauch.de<br />
96 EXISTENZANALYSE 29/2/2012