WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International
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Klinisches Symposium<br />
‚Das wenige, was wir tun können, ist viel’ (Albert Schweitzer)<br />
Die Demenzerkrankung und ihre Folgen für<br />
Betroffene und Pflegende<br />
Eva Liesmann<br />
Wollen und Lassen bestimmen im Wesentlichen die tägliche<br />
Arbeit mit demenzkranken Menschen. Angehörige und Pflegekräfte<br />
sind oft Stellvertreter für das Wollen von Demenzkranken<br />
und müssen im Umgang mit ihnen häufig selbst Vertrautes und<br />
Bekanntes loslassen. Kann dabei eine Kenntnis der personalen<br />
Grundmotivationen der LT/EA hilfreich sein? Anhand von Praxisbeispielen<br />
wird dies im Vortrag dargestellt.<br />
Schlüsselwörter: Demenzerkrankung, Grundmotivationen,<br />
Lassen, Wille<br />
The little we can do is a lot (Albert Schweitzer)<br />
Dementia and its consequences for sickened and<br />
caregivers<br />
Willing and accepting basically determine the daily work with<br />
dementia patients. Relatives and caregivers are often representatives<br />
of the patient`s intentions, and in dealing with them,<br />
they often have to let go of familiar and accustomed beliefs.<br />
Can the acquaintance with the personal fundamental motivations<br />
of Existential Analysis thereby be helpful? This will be<br />
outlined by means of case examples.<br />
Keywords: dementia, fundamental motivations,<br />
acceptance, volition<br />
Das Wenige, was wir tun können, ist viel<br />
Gemeint ist damit, dass wir im Umgang mit demenzkranken<br />
Menschen wenig tun können, um die Krankheit<br />
als solche zu beeinflussen, aber wir können da sein, den erkrankten<br />
Menschen nahe und hilfreich sein. Dieses zutiefst<br />
menschliche Zugewandtsein ist in meinen Augen viel.<br />
Wie sehr uns das Thema betrifft, wird im Folgenden<br />
deutlich:<br />
Ich bin jetzt 55 Jahre alt und werde nach aktuellen Statistiken<br />
87,5 Jahre alt werden. Also habe ich, so Gott will,<br />
noch 32,5 Jahre zu leben. Ab dem sechzigsten Lebensjahr<br />
steigt dann, umso älter ich werde, die Wahrscheinlichkeit,<br />
an einer Demenz zu erkranken, kontinuierlich. Sie wird sich<br />
mit jedem Lebensjahrzehnt ab 60 verdoppeln. Also liege ich<br />
mit 87,5 schon bei 23,9 % (Bickel 2010). Was kann ich dagegen<br />
tun? Gesunde Lebensführung, sich geistig fit halten,<br />
viel Freude empfinden <strong>–</strong> das alles ist sehr gut, aber keine<br />
gesicherte Prophylaxe. De facto kann ich mit größter Willensleistung<br />
nichts gegen eine demenzielle Erkrankung tun<br />
<strong>–</strong> außer jung zu sterben, was keine echte Alternative sein<br />
sollte. Natürlich gibt es heute Antidementiva, Präventionsprogramme<br />
und seit einiger Zeit Forschungsprogramme, die<br />
mit Impfungen arbeiten, aber all dies bietet mir aktuell keine<br />
valide Grundlage zur Vorbeugung einer Demenz.<br />
Demenz heiSSt: (zunehmend) nicht mehr<br />
wollen können<br />
In der Pflege arbeiten wir in hohem Maße mit dem Willen<br />
des Patienten zur Gesundung und mit seinen Ressourcen,<br />
also dem vorhandenen Können, das der Patient selbst einsetzen<br />
muss. In der Pflege demenzkranker Menschen ist dies<br />
mit zunehmendem Schweregrad der Erkrankung nur noch<br />
sehr eingeschränkt möglich. Ich möchte in diesem Vortrag<br />
darstellen, was es bedeutet, wenn Wollen und Können nicht<br />
mehr zur Gesundung oder zum Umgang mit der Krankheit<br />
eingesetzt werden können.<br />
Wenn ein Mensch dement wird, dann geht ihm nach<br />
meiner Beobachtung mit zunehmender Schwere der Erkrankung<br />
die Fähigkeit zum Wollen verloren. Wollen setzt<br />
Können in Einbindung zur Realität voraus. Das verliert der<br />
Mensch mehr und mehr, wenn er sich in der Demenz verliert.<br />
Es wird ihm schwierig bis unmöglich, sich von seinen<br />
Gefühlen zu distanzieren; Er kann sie nicht mehr mit Erinnerungen<br />
oder mit aktuellen Ereignissen verknüpfen, sie<br />
sind einfach „nur“ da und fordern den Betroffenen.<br />
Die vorherrschende Erlebnisdimension der<br />
Demenz ist die Angst<br />
Ich weiß nicht mehr:<br />
••<br />
wer ich bin,<br />
••<br />
wo ich bin,<br />
••<br />
was um mich herum passiert,<br />
••<br />
mit wem ich es zu tun habe,<br />
••<br />
was gerade geschehen ist,<br />
••<br />
was sein wird.<br />
(vgl. MDS 2009, 77-78)<br />
Wir kennen das ja von uns selbst: Wenn wir uns in einer<br />
Lebenssituation befinden, in der wir sehr desorientiert sind<br />
und uns unsere Bewältigungsstrategien verloren gehen,<br />
entsteht auch Angst. Wir selbst setzen unseren Willen ein<br />
und versuchen, die unbekannte Lage zu strukturieren und<br />
uns damit Schritt für Schritt aus dieser Position herauszubewegen.<br />
64 EXISTENZANALYSE 29/2/2012