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WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International

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Plenarvortrag<br />

lichkeiten präformiert <strong>–</strong> nicht nur in dem Sinn, daß gewisse<br />

Möglichkeiten erst gar nicht in das Blickfeld treten, andere<br />

hingegen sehr wohl, sondern auch in dem Sinn, daß jemand<br />

zu gewissen Dingen von vornherein nicht fähig ist. Wir sagen<br />

dann, für jemanden kommen gewisse Möglichkeiten erst gar<br />

nicht in Frage, jemand kann gar nicht anders, als so oder so<br />

zu handeln. Nicht deshalb, weil er unter einem Zwang steht,<br />

sondern aufgrund der Nötigung seiner sittlichen Grundeinstellung.<br />

Freiheit und Notwendigkeit schließen einander nicht<br />

aus, sondern ein <strong>–</strong> nur die Willkür kennt keine Notwendigkeit.<br />

Freilich: Nicht alles, was mich anspricht, will ich auch<br />

schon, oder kann ich wollen. Nur unter bestimmten Voraussetzungen<br />

wird etwas Ansprechendes zum Gewollten. Das<br />

kann ein bereits oberflächlicher Blick auf ähnlich strukturierte<br />

Phänomene wie das Müssen oder Wünschen zeigen.<br />

Ich kann mir wünschen, ein Akrobat zu sein <strong>–</strong> wissend, daß<br />

ich das niemals sein werde. Umgekehrt kann ich mir wünschen,<br />

jetzt in einem anderen Land zu sein. Dort zu sein ist an<br />

sich nicht unmöglich, doch für mich im Moment eben nicht<br />

möglich. Ich kann mir wünschen, daß etwas eintreten möge,<br />

wozu ich weder etwas beitragen kann noch möchte.<br />

Wünsche können sich auf real Mögliches, auch für einen<br />

selbst Mögliches beziehen, ohne daß es zur Tat kommt,<br />

sondern beim Wünschen bleibt <strong>–</strong> aus welchen Gründen auch<br />

immer (weil ich z.B. zu anderem verpflichtet bin, oder weil<br />

ich ein Verantwortung scheuender Ästhet bin). Freilich: Ein<br />

Mensch, der gar keine Wünsche hat, ist entweder wunschlos<br />

glücklich <strong>–</strong> oder er erleidet das Unglück der Wunschlosigkeit.<br />

Einer, der gar keine Wünsche hat, der hat nichts, was er<br />

unter gegebenen Umständen wollen könnte.<br />

Müssen <strong>–</strong> Wünschen<br />

Müssen<br />

Wie auch das Wollen bilden weder das Müssen noch das<br />

Wünschen einen eigenen Typ von Vollzügen, sondern benennen<br />

ein inneres Moment von Vollzügen. Ich mußte einen<br />

Umweg machen, weil die direkte Zufahrt versperrt war.<br />

Müssen besagt hier: gehindert sein. Ich mußte zu spät kommen,<br />

weil die Straßenbahn nicht gekommen ist <strong>–</strong> ich war<br />

gezwungen. Wer ein bestimmtes Ziel verfolgt, muß die entsprechenden<br />

Wege beschreiten. Hier handelt es sich um ein<br />

von einer Zwecksetzung bedingtes Müssen. Etwas tun müssen<br />

<strong>–</strong> das kann auch die Folge eines krankhaften Zwanges<br />

sein. Das Tun-Müssen kann aber auch Ausfluß eines negativen<br />

habitus sein, der sich infolge schlechter Gewohnheiten<br />

herausgebildet hat. Einer muß, weil er nicht mehr anders<br />

kann. Umgekehrt gibt es aber auch ein Müssen im Sinne<br />

eines Nicht-anders-Könnens, das Ausfluß einer sittlichen<br />

Grundhaltung ist. Müssen meint dann sittlich notwendig.<br />

Jemandem ist z.B. eine verwerfliche Tat unmöglich. Jemand<br />

muß so, kann nicht anders handeln, weil er im Tun des als<br />

gut Erkannten eingeübt ist. Solch ein Müssen ist nicht das<br />

Gegenteil von Wollen, sondern ist dessen Frucht.<br />

Wünschen<br />

Das Wünschen kommt mit dem Wollen darin überein, daß<br />

wir uns in beiden Fällen zu zukünftigen Zuständen verhalten,<br />

die als gut erachtet werden. Allerdings reicht das Wünschen<br />

weiter als das Wollen. Im Wünschen spielen nämlich das<br />

Möglichsein und damit der Wirklichkeitsbezug eine weitaus<br />

geringere, gegebenenfalls gar keine Rolle. Wir können Dinge<br />

wünschen, die entweder überhaupt nicht oder zumindest für<br />

uns nicht möglich sind. Wir können uns wünschen, der Sommer<br />

möge doppelt so lange dauern, oder ein Sterbender möge<br />

wieder gesunden. Beim Wünschen werden das Können und<br />

zuweilen auch das eigene Dazu-tun außer acht gelassen. Daher<br />

sagen wir ja, jemand lebe in einer Wunschwelt oder in einer<br />

Phantasiewelt und habe den Wirklichkeitsbezug verloren.<br />

Wollen<br />

Das Wünschen lebt teilweise von der Suspendierung des<br />

Wirklichkeitsbezugs, nicht so das Wollen. Vieles, was ich<br />

mir wünschen kann, kann ich nicht ernsthaft wollen, als für<br />

mich wirklich in Betracht kommend wählen.<br />

Das Gewollte als das real Mögliche<br />

Das Wollen hat es mit realen Möglichkeiten zu tun.<br />

Möglichkeit im doppelten Sinn von subjektivem Können<br />

und sich mir eröffnender objektiver Möglichkeit. Das Gewollte<br />

darf nicht bloß formal, sondern muß real möglich,<br />

situativ möglich sein. Und es muß mir selbst möglich sein<br />

<strong>–</strong> und sei dies in bloß indirekter Form (z.B. jemanden anderen<br />

veranlassen können, etwas zu tun). Das Gewollte muß<br />

sich auch erreichen lassen, d.h. die zielführenden Mittel und<br />

Wege müssen möglich sein. Dazu muß man nicht nur eine<br />

Handlungssituation richtig einschätzen können <strong>–</strong> die Alten<br />

haben von Klugheit (prudentia) oder praktischer Urteilskraft<br />

gesprochen <strong>–</strong> sondern man muß auch sich selbst richtig einschätzen<br />

können, d.h. wissen, was man kann, und was nicht,<br />

was man verantworten kann und was nicht.<br />

Das Gewollte <strong>–</strong> das als gut Erfaßte<br />

Zwar ist jedes Wollen ein responsorisches Streben,<br />

doch ist nicht jedes Streben ein Wollen. Wollen ist ein von<br />

Überlegung und Einsicht getragenes und durchstimmtes<br />

Streben, d.i. ein Sich-bestimmen-Lassen. Wir sagen zu<br />

Recht: Man muß wissen, was man will. Wissen meint hier<br />

nicht wissenschaftliches Wissen im Sinne des neuzeitlichen<br />

Wissensideals, sondern praktisches, d.i. handlungsleitendes<br />

Wissen. Jemand, der nicht weiß, was er will, kann sich<br />

bekanntlich nicht entscheiden. Bei dem kommt es nicht zu<br />

ernsthaftem Wollen. So jemand macht sich zum Spielball der<br />

Umstände und überläßt sich der Willkür des Augenblicks.<br />

Ernsthaftes Wollen unterscheidet sich von einer bloßen<br />

Anwandlung durch zweierlei: Es ist Frucht eines Entschlusses<br />

und manifestiert sich in einem Handeln, das es trägt und durch-<br />

EXISTENZANALYSE 29/2/2012 7

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