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WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International

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Plenarvortrag<br />

seine Treue zu prüfen. Bei den Männern hingegen fördert<br />

der permanente Rivalitätsdruck, dem sie im Konkurrenzkampf<br />

um knappe paarungsbereite Weibchen ausgesetzt<br />

sind, Durchsetzungsfähigkeit und die Bereitschaft zu physischer<br />

Aggression. (vgl. Bischof-Köhler 2011, 169f) Somit<br />

hat die Natur selbst der Frau die Rolle der passiv Wartenden,<br />

dem Mann die des aktiv Werbenden zugeschrieben. Dies<br />

entspricht dem bis vor kurzem vorherrschenden „Dornröschenmodell“<br />

der Befruchtung: „Analog zu diesem Märchen<br />

schwimmt das Spermium munter und aktiv durch den Uterus<br />

zum passiv wartenden Ei <strong>–</strong> so wie sich der Prinz zu der<br />

schlafenden Prinzessin ganz allein und ohne fremde Hilfe<br />

durchschlägt.“ Erst seit kurzem wird gesehen, dass die “[…]<br />

Gebärmutter mit ihren Kontraktionen ganz entscheidend am<br />

Befruchtungsvorgang beteiligt (ist)“ (Peters 2011).<br />

Solch naturalistische Begründungen wurden von der Neuen<br />

Frauenbewegung heftig bekämpft. Ausgangspunkt war<br />

Simone de Beauvoir’s „Das andere Geschlecht“ (1949). Der<br />

Mann <strong>–</strong> so ihre Analyse <strong>–</strong> habe im Laufe der Geschichte stets<br />

für sich selbst die Position des handelnden und entscheidenden<br />

Subjekts beansprucht und der Frau die „Position des Anderen“<br />

zugewiesen <strong>–</strong> als Gegensatz diene sie dazu, ihn als Subjekt<br />

zu bestätigen. Somit gilt: „Man kommt nicht als Frau zur<br />

Welt, man wird es.“ (Vintges 2008) Daran anknüpfend wurde<br />

in der feministischen Theorie das Kategorienpaar „sex“ und<br />

„gender“ eingeführt <strong>–</strong> biologisches und soziales Geschlecht.<br />

Die dieser Unterscheidung zugrundeliegende Annahme einer<br />

vorsozialen „Natur“ des Menschen wird allerdings in konstruktivistischen<br />

Ansätzen bestritten. Danach gibt es „keine<br />

notwendige, naturhaft vorgeschriebene Zweigeschlechtlichkeit…,<br />

sondern nur verschiedene kulturelle Konstruktionen<br />

von Geschlecht“ (Hagemann-White 1988, 230). Schon das<br />

Geschlechtsklassifikationssystem selbst sei Produkt kultureller<br />

Konstruktionsleistungen (vgl. Tyrell 1986, Wetterer<br />

2010). Nicht alle Kulturen nämlich kennen zwei und nur zwei<br />

Geschlechter, schreiben Geschlechtszugehörigkeit jedem Individuum<br />

von Geburt an aufgrund des Besitzes oder Nichtbesitzes<br />

eines Penis lebenslänglich irreversibel zu. Letztlich<br />

sei schon die vergleichende Kontrastierung von Männern und<br />

Frauen, also die „Wer-ist-wie“-Forschung, ein „verfehlter<br />

Vorstellungskonkretismus“: „Menschen nämlich ‚haben‘ kein<br />

Geschlecht und ‚sind‘ nicht Frauen und Männer, sondern sie<br />

‚geben‘ und ‚sehen‘ sich also solche“. (Knapp 1998, 170) Geschlecht<br />

wird von den Teilnehmern in jeder konkreten Interaktionssituation<br />

je erneut in komplementären Prozessen von<br />

Wahrnehmung und Darstellung hergestellt (vgl. Hirschauer<br />

1989). Der Konstruktivismus hat jedoch nicht das letzte Wort<br />

behalten. Der französische Differenzfeminismus greift wieder<br />

die klassische Ausgangsposition auf, kleidet sie allerdings in<br />

ein neues Gewand. Er vertritt einen maternalistischen Essentialismus.<br />

Dessen Ziel ist die „Begründung einer neuen Ethik<br />

der Mutterschaft“, die Anerkennung „positive(r) weibliche(r)<br />

Werte,… deren Ausgangspunkt der Körper der Frau ist“.<br />

(Galster 2010, 47) Anatomie <strong>–</strong> so die Gegenthese zu Beauvoir<br />

<strong>–</strong> ist Schicksal (vgl. Fouque 1995, 40; zit. nach Galster 2010).<br />

Dieser knappe Abriss der gegenwärtigen Debatten zeigt:<br />

Was das Geschlecht angeht, gilt: „Anything goes“. Das<br />

Spektrum reicht vom biologistischen Determinismus und<br />

maternalistischen Essentialismus über einen Mix von biologisch<br />

bestimmter Körperlichkeit und kulturell geprägter<br />

Persönlichkeit bis hin zum völligen sozialen Konstruktivismus.<br />

Meine eigene Position liegt näher am konstruktivistischen<br />

Pol. Ich gehe davon aus, dass die den Geschlechtern<br />

zugeschriebenen Merkmale überwiegend sozial konstruiert<br />

sind. Aber ich teile nicht die Extremthese, Geschlecht sei<br />

bloß kontextabhängige Konstruktion. Diese in der Queer-<br />

(vgl. Hark 2010) und Transsexualitätsforschung (vgl.<br />

Hirschauer 1989) entwickelte These bezieht Geschlecht<br />

auf sexuelles Begehren (vgl. Nagl-Docekal 2010). Im<br />

Blick auf die Reproduktion jedoch ist Zweigeschlechtlichkeit<br />

mehr als bloßes „Ergebnis historischer Entwicklungsprozesse<br />

und fortlaufender Praxis“ (Wetterer 2010, 126).<br />

Der Hinweis der Konstruktivisten, dass Geschlecht durch<br />

biologische Merkmale nicht immer eindeutig und widerspruchsfrei<br />

bestimmt sei, bedeutet aus meiner Sicht nur,<br />

dass es auch bei der biologischen Geschlechtsbestimmung<br />

einen Grauzonenbereich gibt. Für den aber gilt: Die Existenz<br />

der Dämmerung hebt die Unterscheidung von Tag<br />

und Nacht nicht auf.<br />

Im Folgenden nutze ich also die vom Konstruktivismus<br />

als verfehlt gebrandmarkte „Wer-ist-wie“-Forschung und<br />

frage: Gibt es empirische Belege für eine stärkere Willensorientierung<br />

von Männern und höhere Duldungsbereitschaft<br />

von Frauen? Nun gibt es keine flächendeckende Repräsentativuntersuchung<br />

zu dieser Frage. So kann ich nur exemplarisch<br />

vorgehen und einschlägige Einzelbefunde zusammentragen.<br />

Leider war ich mir der Verwobenheit von Wollen und Lassen,<br />

wie sie A. Längle so überzeugend darlegt (vgl. seinen Artikel<br />

in diesem Heft), nicht bewusst und so behandele ich die beiden<br />

Aspekte getrennt. Ich beginne mit der Frage:<br />

Ist Wollen männlich?<br />

Ich möchte zwei Stufen des Wollens unterscheiden (vgl.<br />

auch die Artikel von Pöltner und Bauer in diesem Heft). Die<br />

erste betrifft das unmittelbare Wollen <strong>–</strong> die Fähigkeit zu tun,<br />

was man will, zu wissen, was man will, überhaupt etwas zu<br />

wollen. Die zweite Stufe betrifft selbstbestimmtes Wollen, d.<br />

h. die Fähigkeit zu wollen, was man will. Diese Meta-Ebene<br />

setzt voraus, dass man zu seinem unmittelbaren Wollen Stellung<br />

nehmen und mit Gründen entscheiden kann, ob man<br />

wirklich will, was man spontan will. Frankfurt (vgl. 1988)<br />

spricht von „second-order desires“. Selbstbestimmung<br />

wird verfehlt, wenn das Subjekt glaubt, die Entscheidung,<br />

was es will, ließe sich aus Gründen allein <strong>–</strong> also ohne eigene<br />

wertende Stellungnahme <strong>–</strong> ableiten. Dann ist es jedoch<br />

keine eigene Willensentscheidung. Selbstbestimmung wird<br />

aber auch verfehlt, wenn Gründe überhaupt keine Rolle<br />

spielen. Da gibt es mehrere Fälle. Das Subjekt kann völlig<br />

auf Überlegung verzichten <strong>–</strong> dann bestimmt es nicht selbst,<br />

sondern überlässt zu bestimmen, was es will, dem Zufall.<br />

Oder es liegt nicht ein durch Gründe motiviertes, sondern<br />

durch Ursachen bloß bewirktes Verhalten vor (was durchaus<br />

mit der Produktion von Pseudo-Gründen einhergehen<br />

kann). Einige Beispiele: Nicht ich bestimme, sondern ich<br />

folge allein dem Diktat meines rigiden Überichs, einer<br />

Suggestion, die mir in einer Hypnose aufoktroyiert wurde,<br />

meiner zwanghaften Konformitätsneigung, meiner suchtbedingten<br />

Abhängigkeit.<br />

EXISTENZANALYSE 29/2/2012 51

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