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WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International

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Plenarvortrag<br />

1. Das Dasein, das nach Längle durch Angst und Unsicherheit<br />

behindert und durch Grundvertrauen gefördert wird,<br />

wird durch die Verbindung von Objekterkennung (das<br />

Einzelheiten wahrnimmt) mit dem Selbst gefördert, das<br />

Einzelerfahrungen in den größeren Zusammenhang der<br />

persönlichen Lebenserfahrung und Identität einbindet<br />

(vgl. Abb. 1: die Diagonale vom Objekterkennungssystem<br />

zum Selbst und den diese Verbindung vermittelnden<br />

Übergang vom negativen Affekt zu seiner Bewältigung).<br />

2. Für das Wertsein, das durch Kälte und Depression behindert<br />

und durch (zwischenmenschliche) Wärme und<br />

(personale) Freude gefördert wird, dürfte vor allem das<br />

Zusammenspiel des Selbst mit der Intuitiven Verhaltenssteuerung<br />

relevant sein (vgl. Abb.1: die senkrechte<br />

Verbindung zwischen Selbst und Intuitiver Verhaltenssteuerung):<br />

Für das Wertempfinden ist nicht so sehr die<br />

Wahrnehmung bzw. Integration neuer, schmerzhafter<br />

und fremder Einzelerfahrungen wichtig, sondern das<br />

ganzheitlich „fühlende Erfassen“ positiver Erfahrungen.<br />

3. Für das Selbstsein, das nach Längle durch unpersönliche<br />

oder abwertende Erfahrungen behindert und durch Beachtung<br />

und Wertschätzung gefördert wird, erscheint die<br />

Kooperation zwischen Selbst und Ich (mitsamt seinem Intentionsgedächtnis)<br />

besonders wichtig: Die Abstimmung<br />

zwischen Selbst und Ich ermöglicht einerseits ein zustimmendes<br />

(oder auch ablehnendes) Erfühlen der Selbstkongruenz<br />

eigener oder fremder Ziele, die aus dem Ich<br />

kommen, und andererseits eine Integration neuer, selbstkompatibler<br />

Ziele bzw. Erfahrungen ins Selbst, die Ziele<br />

persönlich bedeutsam macht und damit auch für die emotionale<br />

Unterstützung der Zielumsetzung und Willensbahnung<br />

sorgt (vgl. das oben über die Selbstmotivierung Gesagte).<br />

4. Schließlich hängen Entwicklung und Wachstum von<br />

der ausgewogenen Dialektik aller vier Systeme ab, die<br />

ja ihrerseits von der Fähigkeit abhängt, zwischen gegensätzlichen<br />

Emotionen pendeln zu können (den vorübergehenden<br />

Verlust von positivem Affekt aushalten zu<br />

können, um das Absichtsgedächtnis mit unangenehmen<br />

Vorsätzen zu laden, positiven Affekt wiederherzustellen,<br />

um schwierige Absichten auszuführen, negativen Affekt<br />

auszuhalten, um schmerzhafte Erfahrungen wahrzunehmen<br />

statt sie zu verdrängen und negativen Affekt wieder<br />

herunterzuregulieren, um diese Erfahrungen in das große<br />

Erfahrungsnetzwerk des Selbst zu integrieren).<br />

Rasche oder verzögerte Integration:<br />

Akkommodatives versus assimilatives<br />

Wachstum<br />

Mit „Dialektik“ ist in der PSI-Theorie eine bestimmte<br />

Art von Zusammenarbeit der psychischen Systeme gemeint,<br />

die für Entwicklungsprozesse besonders wichtig ist: Bei den<br />

im vorigen Abschnitt erwähnten Formen der „Zusammenarbeit“<br />

zwischen den Systemen genügt oft schon ein einfacher<br />

Kontakt und Informationstransfer zwischen zwei Systemen.<br />

Bei der „Dialektik“ kommt gegenüber einfachen Systeminteraktionen<br />

eine dynamische Besonderheit eines solchen<br />

Systemkontakts hinzu: Dialektik zweier Systeme bedeutet,<br />

dass die Person für einen gewissen Zeitraum in einem System<br />

bleibt (z. B. im Ich, wenn ein Problem länger analysiert,<br />

bedacht und abgewogen werden soll) und der Kontakt mit<br />

dem Partnersystem erst mit einiger Verzögerung erfolgt (das<br />

können Minuten, Stunden, Tage oder in schwierigen Fällen<br />

auch Jahre sein). Durch dieses „Ausreizen“ des Potenzials<br />

eines Systems und das Hinauszögern der Beteiligung des<br />

Partnersystems werden besonders intensive Entwicklungsprozesse<br />

gefördert, die sich in qualitativen Sprüngen der Erkenntnisleistung<br />

der beteiligten Systeme äußern (akkommodative<br />

Entwicklung) statt in den nur kleinen Lernzuwächsen,<br />

die bei einfachen Formen von fast gleichzeitiger Aktivierung<br />

der beiden Partnersysteme auftreten (assimilative Entwicklung).<br />

Die (vom verzögerten Wechsel zwischen negativem<br />

Affekt und seiner Bewältigung abhängige) Dialektik zwischen<br />

Selbst und Objekterkennung ermöglicht (gegenüber<br />

dem oben erwähnten einfachen Kontakt zwischen Selbst<br />

und Objekterkennung) große qualitative Sprünge im Selbstwachstum.<br />

Analoges gilt für die Dialektik zwischen Selbst<br />

und Ich, die auch schwierig zu integrierende neue Vorsätze<br />

(Absichten) und Ziele auf lange Sicht ins Selbst einbindet<br />

[evtl. nach tage- oder monatelanger Verzögerung des Selbstkontakts,<br />

wie das bei zunächst fremdgesteuerten Zielen oder<br />

Verhaltensweisen (Freuds „Introjekte“) der Fall sein kann].<br />

In analoger Weise würde die Dialektik zwischen Selbst und<br />

Intuitiver Verhaltenssteuerung das „fühlende Erfassen“ neuer<br />

Erfahrungen auf einer sehr viel tieferen Ebene unterstützen,<br />

als es durch den einfachen „Simultankontakt“ zwischen<br />

Selbst und Intuitiver Verhaltenssteuerung möglich ist.<br />

Wie funktioniert der freie Wille?<br />

Die eingangs erwähnte Frage nach der Willensfreiheit<br />

hat sich damit buchstäblich von „selbst“ beantwortet. Viele<br />

neurobiologisch oder philosophisch begründeten Argumente<br />

gegen die Willensfreiheit lassen sich vorab „disqualifizieren“:<br />

Da wir im allgemeinen Sprachgebrauch Willensfreiheit<br />

mit Verantwortung und Zuschreibbarkeit (z. B. von<br />

Schuld) verbinden, verfehlen Ansätze, die Willensfreiheit<br />

von diesem zentralen Bedeutungskontext lösen, von vornherein<br />

das Thema. Wer Willensfreiheit anders definiert als der<br />

Begriff im Alltag verwendet wird, kann ihn schlechterdings<br />

nicht auf den im Alltag verwendeten Begriff anwenden. Die<br />

meisten Menschen kennen das Gefühl, frei entscheiden zu<br />

können oder sich bei der Willensbildung unfrei zu fühlen.<br />

Lässt sich dieser subjektive Zugang zum Begriff der Willensfreiheit<br />

auch aus der objektiven Perspektive der (psychologischen)<br />

Wissenschaft begründen? Diese Frage kann heute<br />

eindeutig bejaht werden. Das, was wir im Alltag mit Willensfreiheit<br />

meinen (z. B. wenn wir den Begriff mit Verantwortlichkeits-<br />

oder Schuldzuschreibungen verbinden), lässt sich<br />

funktionsanalytisch so erläutern: Eine Willenshandlung bezeichnen<br />

wir als frei (und dem Handelnden voll zurechenbar),<br />

wenn sie ungehindert durch selbstfremde, äußere oder innere<br />

Kräften zustande gekommen ist, die die Beteiligung des<br />

Selbst an dieser Entscheidung bzw. Handlung einschränken.<br />

Solche Kräfte können sein: externe Instruktionen, Wünsche<br />

EXISTENZANALYSE 29/2/2012 47

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