WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International
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Symposium: Theologie und Seelsorge<br />
Den Willen stärken? Den Willen lassen?<br />
Werner Eichinger<br />
Die Existenzanalyse begreift den „Willen“ als zentrale geistige<br />
Kraft des Menschen und dessen Stärkung als eine ihrer Aufgaben.<br />
Für den Mystiker Meister Eckhart ist „Gelassenheit“, das<br />
Lassen des eigenen Willens, ein wesentliches Motiv. Das scheint<br />
widersprüchlich <strong>–</strong> aber ein Blick auf dessen Gründe und Ziele<br />
lässt fragen, ob es nicht eher zwei Schritte auf einem Weg sind.<br />
Schlüsselwörter: Gelassenheit, Mystik, Wille<br />
Strengthen the will? Leave the will?<br />
Existential analysis understands „will“ as the central power of<br />
the human mind and the strengthening of will as one of its<br />
tasks. “Gelassenheit”, to let go of one’s own will, is a fundamental<br />
motive of Meister Eckhart. This seems contradictory <strong>–</strong><br />
but considering his reasons and aims one could ask whether<br />
both are rather two steps on the same path.<br />
Key words: Gelassenheit, mysticism, will<br />
Vor ein paar Tagen hat Markus seinen 40. Geburtstag gefeiert.<br />
Er ist seit 12 Jahren verheiratet, seine beiden Kinder<br />
sind 11 und 7 Jahre alt. So ein runder Geburtstag ist doch<br />
immer wieder ein Anlass, Bilanz zu ziehen. Markus ging es<br />
dabei nicht gut: Er hat seit langem den Eindruck, dass seine<br />
Frau und er nur noch nebeneinander her leben. Sie können<br />
den Alltag gut koordinieren, aber was haben sie sich eigentlich<br />
noch zu sagen? Es ist lange her, dass sie sich miteinander<br />
und übereinander gefreut haben. Seit einigen Monaten<br />
nun ist die Beziehung zu einer ehemaligen Studienkollegin<br />
wieder intensiver geworden: Da erlebt er, wie es ist, wenn<br />
man sich etwas zu sagen hat und sich übereinander freuen<br />
kann. Sie mag ihn sehr und er sie auch. Er könnte sich gut<br />
vorstellen, mit ihr zusammenzuleben <strong>–</strong> aber will er das?<br />
Oder ist diese für ihn wertvolle Erfahrung ein Impuls, an der<br />
Beziehung zu seiner Frau nun endlich ernsthaft zu arbeiten?<br />
Nein, er weiß nicht, was er will…<br />
Und da ist eine junge Frau, Eva, Anfang 30. Nach dem<br />
Abitur hatte sie erst einmal eine Banklehre begonnen. Das<br />
interessierte sie zwar nicht besonders, aber es war <strong>–</strong> wie sie<br />
sagte <strong>–</strong> „besser als nichts“. Seit Jahren verkauft sie nun Bausparverträge,<br />
Sparbriefe und Fonds-Anteile. Sie verdient ganz<br />
gut, aber eigentlich mag sie das alles nicht. Im letzten Frühjahr<br />
hat sie in den Ferien bei Ausgrabungen in Israel mitgearbeitet:<br />
Das war eine Idee ihrer Freundin <strong>–</strong> und weil Eva nichts<br />
Besseres eingefallen war, hatte sie zugestimmt. Und dabei hat<br />
sie das gefunden, was sie wirklich interessiert: Archäologie.<br />
Viele Bücher darüber hat sie jetzt schon verschlungen und<br />
sich auch in die eine oder andere Vorlesung gesetzt. Immer<br />
wieder fühlte sie dabei: Ja, das will sie. Eigentlich. Das wäre<br />
schon schön <strong>–</strong> aber das Studium dauert lange, die Berufsaussichten<br />
sind nicht gut und die Eltern und der Freund sind auch<br />
dagegen. Wird sie die Kraft aufbringen, sich für das zu entscheiden,<br />
was ihr so wertvoll geworden ist?<br />
„Willensstärkung“ als Aufgabe der Existenzanalyse<br />
/ Logotherapie<br />
Vielleicht finden Markus und Eva den Weg zu einem<br />
existenzanalytischen Berater. Mit seiner Hilfe kann Markus<br />
hoffentlich klären, was er eigentlich will und Evas Wille<br />
wird vielleicht so stark, dass sie sich auf das Studium einlässt.<br />
Der Berater weiß ja, dass der „Wille entsteht aus dem<br />
Bezogensein des Subjekts als ganzem Menschen (…) auf<br />
das Ansprechende aus der Welt und .. im Entschluss (besteht),<br />
sich auf einen gewählten Wert einzulassen“ (Längle<br />
2002, 45).<br />
Motiviert ist er also durch einen Bezug auf das Wertvolle,<br />
das sich situativ einem Menschen zeigt und ihn berührt;<br />
er verlangt die Entscheidung, sich darauf einzulassen<br />
<strong>–</strong> und also anderes, was auch möglich und vielleicht sogar<br />
attraktiv wäre, zu lassen; er beinhaltet weiter die Bereitschaft<br />
zum Handeln (vgl. Längle 2000, 6f).<br />
Allzu oft allerdings ist die Berührung mit dem Wert<br />
defizitär, die Entscheidung unklar und die Kraft zum Handeln<br />
unzureichend. Ziel der existenzanalytischen Arbeit ist<br />
es dann, den Klienten dabei zu unterstützen, zu Entscheidungen<br />
zu finden und diese dann auch zu realisieren <strong>–</strong> also<br />
das Gewollte zu klären und den Willen zu stärken.<br />
Wir können uns gut vorstellen, dass das Markus und Eva<br />
hilft.<br />
„Den Willen lassen“: Das Programm Meister<br />
Eckharts<br />
Stellen wir uns vor, Markus und Eva besuchen dann am<br />
Wochenende ein Seminar, das in das Denken von Meister<br />
Eckhart einführt <strong>–</strong> dieses Theologen und Mystikers, der um<br />
1300 gelebt hat. Das wird sie irritieren, denn da hören sie:<br />
„Leer sein aller Kreatur ist Gottes voll sein, und voll<br />
sein aller Kreatur ist Gottes leer zu sein.“ (Meister Eckhart<br />
1979a, 88)<br />
Kann ein Mensch also nur dann von Gott erfüllt sein,<br />
wenn er es aufgibt, nach Kreatürlichem zu streben? Wenn<br />
er sich von dessen Wert nicht mehr berühren lässt? Muss<br />
er seinen Willen lassen, wenn er den Willen Gottes erfüllen<br />
will? Eckhart verlangt noch mehr: Selbst diesen frommen<br />
Willen muss man loslassen:<br />
„Der ist ein armer Mensch, der nichts will, nichts weiß<br />
und nichts hat... Solange ihr einen Willen habt (den Willen<br />
EXISTENZANALYSE 29/2/2012 97