WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International
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Klinisches Symposium<br />
anstalt“ <strong>–</strong> weiterhin über 40% Unterbringungen!)<br />
Ressourcen<br />
Das Schaffen eines guten Klimas zur Sicherung der Persönlichkeitsrechte<br />
der PatientInnen und zur möglichst seltenen<br />
Anwendung von Einschränkungen und Zwang dauert<br />
oft Jahre. Umgekehrt kann aber eben dieses gute Klima in<br />
sehr kurzer Zeit kaputt gemacht werden: Dies geht schnell<br />
und leicht durch „Aushungern auf administrativem Weg“<br />
im Sinn von Personalkürzungen, Ausweitungen des Versorgungsauftrages<br />
(mit Folge von Überbelegung der Abteilungen<br />
im Sinne eines „Crowding“ mit entsprechender zunehmender<br />
Aggression etc.). Zur Kontextabhängigkeit gehört<br />
also auch neben dem primären „intrapsychischen“ Faktor der<br />
Psychopathologie bzw. des Verhaltens der PatientInnen und<br />
des interpersonellen Faktors des „Abteilungs-Klimas“ auch<br />
ein institutioneller Faktor.<br />
Intrapsychische / interpersonelle / institutionelle<br />
Abwehr<br />
Eine konzeptuelle Hilfe beim Erkennen <strong>–</strong> und dadurch<br />
oft auch Vermeiden <strong>–</strong> von eskalierender Aggression an der<br />
Abteilung bietet die Unterscheidung der verschiedenen Abwehr-Ebenen:<br />
1. Intrapsychische Abwehrmechanismen,<br />
2. Interpersonelle Abwehr-Konstellationen,<br />
3. Institutionelle Abwehr-Ebene.<br />
Speziell bei schweren psychischen Störungen wie Persönlichkeitsstörungen<br />
oder Psychosen sind PatientInnen in<br />
höherem Maße auf interpersonelle Abwehr „zurückgeworfen“,<br />
da ihre intrapsychischen (bzw. „reiferen“) Abwehrmechanismen<br />
bzw. Coping-Strategien nicht mehr ausreichen,<br />
um die so schwer aushaltbaren intensiven negativen Affekte<br />
wie Aggression, Wut, Verzweiflung zu bewältigen. Dies<br />
erleben wir als Behandler „von außen“ als mangelnde Affektkontrolle<br />
bzw. als massive Verwendung von projektiver<br />
Identifizierung <strong>–</strong> also den Versuchen der PatientInnen, jene<br />
Gefühlszustände, die sie verbal nicht ausdrücken können,<br />
uns als Behandler „emotional erleben zu lassen“. Durch diese<br />
Dominanz der Mechanismen von Spaltung, Projektion<br />
und eben projektiver Identifikation werden auch im Behandlungsteam<br />
in kürzester Zeit intensive Gegenübertragungs-<br />
Affekte ausgelöst. Gerade in diesen Fällen ist es besonders<br />
wichtig, ein „Zurückschlagen“ des Teams auf einer kaum<br />
bewussten Gruppen-Gegenübertragungs-Ebene zu vermeiden.<br />
Aber auch die interpersonelle Abwehr (inklusive der<br />
Gruppen-Phänomene) ist noch eingebettet in eine institutionelle<br />
Abwehr-Struktur: Schon vor Jahrzehnten wurde ja die<br />
Psychiatrie generell als „institutionelles Abwehrsystem“ gegen<br />
triebhaft-unkontrolliertes Verhalten beschrieben. Heute<br />
würden wir fragen, was denn die größte, durch die Psychiatrie<br />
abzuwehrende Angst darstellt? Falls es die Angst vor<br />
Chaos und Kontrollverlust ist, wird der „Kontrollauftrag“<br />
prioritär sein <strong>–</strong> mit dem Risiko einer überschießenden Reglementierung.<br />
Falls aber die größte Angst des Teams darin besteht,<br />
„böse“ zu sein und daher schon das Bestehen auf eine konsequente<br />
(und dadurch auch für Patienten verlässliche und<br />
hilfreiche) Struktur als Gewaltausübung empfunden wird,<br />
läuft eine „nur gute“ Sozialpsychiatrie Gefahr, Aggression<br />
und Gewalt zu exportieren (schlimmstenfalls in Richtung<br />
Maßnahmen-Vollzug in den „Sonderanstalten für geisteskranke<br />
Rechtsbrecher“ wie z. B. in Göllersdorf). Stichworte<br />
dazu sind: „Disziplinäre“ Entlassungen nach dem Motto<br />
„Der gehört nicht zu uns“ bzw. „Für diesen Patienten können<br />
wir nichts tun…“<br />
Die Ausübung von Zwang in der Psychiatrie ist prinzipiell<br />
„legitimierungspflichtig“ <strong>–</strong> nicht nur gegenüber Patientenanwaltschaft<br />
und Gericht. Wir schulden auch (spätestens post<br />
festum) den Betroffenen und ebenso den Angehörigen eine<br />
Erklärung für unser Verhalten! Jedes Versäumnis in dieser<br />
Richtung rächt sich spätestens bei der nächsten Aufnahme!<br />
Abschließend möchte ich Ihnen zur Verdeutlichung<br />
der Schwierigkeiten im Umgang der PsychiaterInnen mit<br />
Zwangsmaßnahmen die Einschätzung eines berühmten Psychoanalytikers<br />
und Psychiaters zitieren:<br />
Es geht hinsichtlich des Zwanges nicht nur um unser Vorgehen<br />
bei der Medikation, bei der Fixierung, bei der Unterbringung,<br />
sondern um unsere Gesamthaltung dem Patienten<br />
gegenüber, dessen eigene Zwänge wir nicht nur bekämpfen<br />
sollten, sondern auch als Ich-Leistung respektieren müssen.<br />
Und dies alles vielleicht am besten vor dem Hintergrund<br />
eines gleichsam angemessenen eigenen Schuldgefühls, das<br />
wir haben sollten als Mitglieder und Vertreter einer Gesellschaft,<br />
die selbst immer Zwang ausübt und zum Teil für die<br />
Entstehung der Zwänge des Patienten verantwortlich ist.<br />
Eine offene und bewusste Haltung diesem Komplex gegenüber<br />
würde uns vielleicht die schwierige Aufgabe erleichtern,<br />
den nötigen vom unnötigen Zwang zu unterscheiden…<br />
Stavros Mentzos<br />
Anhang I<br />
Grundsätze zum Umgang mit Eskalation<br />
●●<br />
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Unmittelbar gefährliche Eskalation erkennt man meist<br />
daran, dass die erregte Person verbal bzw. im Gespräch<br />
nicht mehr erreicht werden kann. (Kein „affektiver Rapport“<br />
mehr möglich.)<br />
Nach einem Gewaltausbruch/Aggressionsdurchbruch<br />
folgt oft eine Phase der Erschöpfung, wobei jedoch weiterhin<br />
eine große Gefahr neuerlicher Aggression aufgrund<br />
der prinzipiell unveränderten psychischen Labilität/Störung<br />
besteht.<br />
Soziale Kontrolle, d. h. in diesem Fall eine angemessene<br />
aber konsequente Durchsetzung von Regeln, wirkt meist<br />
deeskalierend!<br />
62 EXISTENZANALYSE 29/2/2012