WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International
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Symposium: Theologie und Seelsorge<br />
Gottes zu erfüllen) und begehrt (die Ewigkeit und Gott),<br />
solange seid ihr nicht arm, denn der ist ein (von Jesus als<br />
selig bezeichneter, W.E.) armer Mensch, der nichts will und<br />
nichts begehrt.“ (Meister Eckhart 2001, 113)<br />
Also: Nicht nur der eigene, auf etwas Attraktives ausgerichtete<br />
Wille ist loszulassen, sondern auch schon das Wollen,<br />
den Willen Gottes zu erfüllen, hindert den Menschen an<br />
seiner Seligkeit.<br />
Hören wir noch einmal Meister Eckhart:<br />
„Es kam einmal ein Mensch zu mir <strong>–</strong> es ist noch nicht<br />
lange her <strong>–</strong> und sagte, er habe große Dinge hinweggegeben<br />
an Grundbesitz, an Habe, um dessentwillen, dass er<br />
seine Seele rette. Da dachte ich: Ach, wie wenig und Unbedeutendes<br />
hast du gelassen! Es ist eine Blindheit und eine<br />
Torheit, solange du auf etwas achtest, das du gelassen hast.<br />
Hast du aber dich selbst gelassen, so hast du gelassen.“<br />
(Meister Eckhart 2004, 158)<br />
Vielleicht wird Eva da protestieren:<br />
„Also, das hilft mir jetzt überhaupt nicht! Endlich habe<br />
ich gefunden, was ich will <strong>–</strong> da soll ich es schon aufgeben,<br />
ehe ich es angepackt habe?!“<br />
Und Markus denkt vielleicht:<br />
„Dieser Mönch des Mittelalters hat gut reden… Der<br />
musste sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden. Oder<br />
soll ich vielleicht beide aufgeben, beide und die Kinder dazu<br />
lassen, um dann ‚gelassen‘ zu leben? Nein, da ist mir das,<br />
was der existenzanalytische Berater sagt, doch viel hilfreicher.“<br />
Wir könnten ihm jetzt zustimmen und uns nicht weiter<br />
um Meister Eckhart kümmern. Aber machen wir es uns nicht<br />
zu einfach: Vielleicht gibt es in der Auseinandersetzung mit<br />
ihm doch etwas zu lernen, wenn nach dem Wollen und dem<br />
Lassen gefragt ist.<br />
Und: Es geht dabei ja nicht nur um Meister Eckhart. Sind<br />
nicht die Einsichten des Buddha, der Wege aufzeigt, die<br />
„Wurzelsünden“ Gier, Hass und Verblendung zu überwinden,<br />
dem ganz nahe? Und geht es nicht auch in der Zen-Meditation<br />
darum, „leer“ zu werden und alles loszulassen, was<br />
unser Denken und Empfinden fesselt? Beschreibt nicht auch<br />
Lao Dse einen Weg zum Nicht-Wollen und Nicht-Handeln?<br />
Es scheint hier um etwas für die Religion ganz Zentrales zu<br />
gehen, wenn diese nicht mehr mit einem System von Sätzen<br />
und Moralvorschriften verwechselt wird, die in Heiligen<br />
Schriften aufgeschrieben sind oder von Päpsten, Pastoren<br />
und Gurus verkündet werden.<br />
Wir müssen und können uns hier darauf beschränken,<br />
genauer hinzusehen, worum es Eckhart geht <strong>–</strong> und uns dann<br />
fragen, ob das zu dem, worum es der Existenzanalyse geht,<br />
einfach entgegengesetzt ist, oder ob sie von ihm etwas lernen<br />
kann.<br />
Eckharts Grundlage: Gott im Menschen<br />
Dass „Gott“ den Menschen nicht erst von außen gebracht<br />
werden muss, sondern vor allem Wissen und Tun, vor allem<br />
Wollen und Lassen auch, schon in ihm wartet, ist eine der<br />
Grundannahmen der Mystik Eckharts.<br />
Er findet dafür eindrückliche Worte:<br />
„Keine vernunftbegabte Seele ist ohne Gott; der Same<br />
Gottes ist in uns. Hätte er einen guten, weisen und fleißigen<br />
Ackerer, so würde er um so besser gedeihen und wüchse auf<br />
zu Gott, dessen Same er ist, und die Frucht würde gleich der<br />
Natur Gottes. Birnbaums Same erwächst zum Birnbaum,<br />
Nußbaums Same zum Nußbaum, Same Gottes zu Gott.<br />
Ist´s aber so, daß der gute Same einen törichten und bösen<br />
Ackerer hat, so wächst Unkraut und bedeckt und verdrängt<br />
den guten Samen, so daß er nicht an´s Licht kommt noch<br />
auswachsen kann. Doch spricht Origines, ein großer Meister:<br />
Da Gott selbst diesen Samen eingesät und eingedrückt<br />
und eingeboren hat, so kann er wohl bedeckt und verborgen<br />
und doch niemals vertilgt oder in sich ausgelöscht werden;<br />
er glüht und glänzt, leuchtet und brennt und neigt sich ohne<br />
Unterlaß zu Gott hin.“ (Meister Eckhart 1979b, 101)<br />
Der Same Gottes ist in uns: Schon vor aller ausdrücklichen<br />
Religiosität wohnt etwas von Gott in jedem Menschen.<br />
Er braucht nicht von außen hineingetauft oder hineingepredigt<br />
zu werden. Der Ort <strong>–</strong> oder mindestens: ein Ort, an<br />
dem Gott gefunden werden kann <strong>–</strong> ist die eigene Seele. Im<br />
Innersten der Seele, im „Seelengrund“, wohnt Gott <strong>–</strong> und<br />
dort wartet er auf uns.<br />
Gott im Menschen zu begegnen hat freilich seinen Preis:<br />
Dazu muss das Unkraut überwunden werden, das den göttlichen<br />
Samen beim Aufwachsen behindern <strong>–</strong> aber nie auslöschen<br />
kann. Das erfordert Übung und die Bereitschaft zum<br />
Konflikt: mit den inneren und mit den äußeren Kräften, die<br />
das Wachstum des Unkrauts in uns antreiben. So kann der<br />
Konsumismus die Begegnung mit dem eigenen Seelengrund<br />
behindern: als innere Orientierung wie als gesellschaftliches<br />
System, das gerade davon lebt, dass Menschen nicht zu sich<br />
<strong>–</strong> und zu Gott in ihrem Seelengrund <strong>–</strong> kommen.<br />
Zum Hindernis, Gott zu erfahren, kann auch die institutionalisierte<br />
Religiosität werden: Dann, wenn sie dem Menschen<br />
nicht dazu hilft, Gott in sich zu entdecken, sondern<br />
wenn sie ihn bloß „von außen“ anbietet.<br />
Relativierung der institutionalisierten<br />
Religiosität<br />
Wieder Meister Eckhart:<br />
„Wem aber Gott nicht so wahrhaft innewohnt, sondern<br />
wer Gott beständig von draußen her nehmen muß in diesem<br />
und in jenem, und wer Gott in ungleicher Weise sucht,<br />
sei´s in Werken oder unter den Leuten oder an Stätten, der<br />
hat Gott nicht... Und darum hindert ihn nicht nur böse Gesellschaft,<br />
sondern ihn hindert auch die gute, und nicht allein<br />
die Straße, sondern auch die Kirche, und nicht allein<br />
böse Worte und Werke, sondern auch gute Worte und Werke.<br />
Denn das Hindernis liegt in ihm, weil Gott in ihm noch nicht<br />
alle Dinge geworden ist.“ (Meister Eckhart 1979e, 59f)<br />
Zum Hindernis, den Samen Gottes in sich aufwachsen zu<br />
lassen, wird die institutionalisierte Religiosität auch, wenn<br />
sie dem Handeln des Menschen Motive anbietet, die nicht<br />
98 EXISTENZANALYSE 29/2/2012