WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International
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Symposium: Theologie und Seelsorge<br />
Nun als Apostel lebt er aus einer neuen Erfahrung, die ihm<br />
durch den Geist Gottes zuteil geworden ist, die er demzufolge<br />
auch als Evangelium bezeichnet, als frohe Botschaft. Im<br />
Kern lautet diese Botschaft: Gott selbst hat den Menschen<br />
gerechtgesprochen aus Gnade ohne menschliches Zutun.<br />
Die Erlösung von aller Schuld ist erbracht worden durch<br />
das Leiden und Sterben Jesu. Wer daran glaubt, ist von Gott<br />
gerecht gemacht. Es ist folglich nicht mehr notwendig, sich<br />
durch die Erfüllung des Gesetzes sein Heil bei Gott zu verdienen.<br />
Die tödliche Leistungsspirale ist durchbrochen, die<br />
Gefangenschaft in den Fesseln der Sünde beendet.<br />
Gleichwohl bleibt das Wertvolle am Gesetz für Paulus<br />
bestehen, wodurch erkennbar wird, daß es nicht ausschließlich<br />
eine autoritäre Überich-Forderung gewesen ist, sondern<br />
auch eine dem Leben dienende Richtschnur des Handelns.<br />
Ein gläubiger Christ ist nun nach Paulus‘ Auffassung durch<br />
den ihm zugesprochenen Geist Gottes in der Lage, dies Gesetz<br />
<strong>–</strong> als Gesetz Christi <strong>–</strong> auch zu erfüllen, indem er befreit<br />
ist zu einem gerechten, neuen, gottgemäßen Leben. Und auch<br />
wenn Paulus dies so nicht wortwörtlich formuliert, könnte<br />
man daraus logisch folgern: Der Wille des Menschen, der<br />
sich von Gott angenommen und bejaht weiß, wird nun nicht<br />
mehr durch die Angst vor Versagen und damit verbundener<br />
Vernichtung ad absurdum geführt. Er kann aus der inneren<br />
Freiheit heraus sich richten auf das, was wertvoll und richtig<br />
zu tun stimmig erscheint.<br />
Zusammenfassung<br />
Als Resümee für unsere Frage nach der Verhältnisbestimmung<br />
von Existenzanalyse und biblisch-theologischer<br />
Tradition können wir im Blick auf die paulinischen Ausagen<br />
in Röm 7 festhalten: Wir sehen hier ein anschauliches Beispiel<br />
für menschliches Konflikterleben. Der mit dem Ich, mit<br />
der Person verbundene Wille war zunächst in seiner Freiheit<br />
eingeschränkt durch Begierden und neurotisches Getriebensein.<br />
Dieser innere Konflikt spitzte sich für Paulus zu, bis er<br />
im Bekehrungserlebnis von Damaskus ins Bewußtsein trat<br />
und durch die befreiende Botschaft von der Gnade Gottes<br />
befriedet wurde. Die neuerworbene Freiheit gegenüber der<br />
bislang knechtenden Autorität des Gesetzes läßt Paulus später<br />
mit diesem Gesetz, das er weiterhin für wertvoll erachtet,<br />
flexibler und stärker vom Geist Gottes geleitet umgehen.<br />
Dafür findet sich in seiner Gemeindekorrespondenz manch<br />
überzeugendes Beispiel. Dazu zählen etwa seine Bemühungen<br />
um Ausgleich und friedvollen Umgang miteinander,<br />
wo in der Gemeinde um die Gültigkeit bestimmter Gesetzesvorschriften<br />
gestritten wird. Dort vermeidet es Paulus stets,<br />
sich auf irgendeinen Rigorismus, egal ob konservativ oder<br />
liberal getönt, einzulassen, sondern fordert immer <strong>–</strong> bei aller<br />
Freiheit von letztgültigen Normen <strong>–</strong> dazu auf, die anderen,<br />
die noch mehr Halt durch Gebote brauchen, nicht mutwillig<br />
zu brüskieren oder zu verunsichern.<br />
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Passagen, wo<br />
deutlich wird, daß man sich den Umgang mit der neuerworbenen<br />
Freiheit doch nicht so permanent ungebrochen und<br />
ungestört wachsend vorstellen kann. Im 2. Korintherbrief<br />
kann man lesen von Angriffen auf die Autorität des Apostels<br />
und von scharfer Kritik an seiner Kompetenz, wogegen er<br />
sich zur Wehr setzt. Die diesbzgl. Kapitel 10-12 zeigen ihn<br />
m. E. als jemanden, der mit dem Rücken zur Wand steht,<br />
bei dem von Freiheit und Gelassenheit nicht mehr viel übrig<br />
geblieben ist und der darum auf seine alten Bewältigungsmechanismen<br />
durch Leistung zurückgreift. Doch darin zeigt<br />
sich Paulus eben auch als einer, der dem Irdischen genauso<br />
verhaftet geblieben ist wie wir alle. Bei allem Entwicklungspotential,<br />
das wir haben, bleiben doch auch immer bestimmte<br />
neuralgische Punkte, die wir nie ganz überwinden<br />
werden.<br />
Augustinus<br />
Wenden wir uns nun einem altkirchlichen Theologen zu,<br />
der wie kaum ein anderer das Denken der Westkirche geprägt<br />
hat: Augustinus. Er wurde 354 geboren, ließ sich nach<br />
einer langen Zeit der Suche mit 33 Jahren taufen und starb<br />
433 als Bischof der nordafrikanischen Stadt Hippo. Die für<br />
das theologische Denken des Augustinus prägenden Themen<br />
waren folgende: Wie kann der Mensch Erkenntnis gewinnen?<br />
Woraus besteht ein für ihn unvergängliches Glück und<br />
wie ist es zu erlangen? Und was ist das Wesen des Bösen in<br />
der Welt? Bei der Beantwortung der beiden letzten Fragen,<br />
der Frage nach dem unvergänglichen Glück und nach dem<br />
Wesen des Bösen spielt auch das Verständnis der Willensfreiheit<br />
eine entscheidende Rolle.<br />
Augustinus geht davon aus, daß das Leben eines jeden<br />
Menschen ein Ziel hat, und dies Ziel besteht im unvergänglichen<br />
Glück, in der beatitudo, der Seligkeit. Selig wird der<br />
Mensch dann sein, wenn er Gott schaut (visio Dei) und Gott<br />
genießt (frui Deo). Der Weg eines Menschen sollte so aussehen,<br />
daß er dies Ziel stets vor Augen hat und die Dinge der<br />
Welt so gebraucht, daß sie ihn das Ziel erreichen lassen. Den<br />
Christen hilft dabei Christus mit seiner Gnade und seinem<br />
Beispiel.<br />
Wer ist Gott für Augustinus? Gott ist <strong>–</strong> und da zeigt sich<br />
Augustinus ganz von der griechischen Antike, v. a. von<br />
Plato beeinflußt <strong>–</strong> das höchste Gut, das summum bonum.<br />
Wie versteht er dieses höchste Gut, dem sich der Mensch<br />
annähern soll? Als etwas an sich Gutes, das gewollt und geliebt<br />
ist, nicht aus Gründen der Nützlichkeit oder um angenehmer<br />
Gefühle willen, sondern um seiner selbst willen.<br />
Inhaltlich denken schon die griechischen Philosophen (so<br />
auch Aristoteles) dabei an die Tugenden wie Tüchtigkeit des<br />
Verstandes und des Charakters, Weisheit, Klugheit, Maß,<br />
Einsicht, Mut, Tapferkeit, die Menschen erwerben durch soziale<br />
Vermittlung und persönliche Erfahrung, die in reiner<br />
Form Eigenschaften Gottes darstellen. Auch ist das Gute etwas,<br />
das Menschen eigentlich von Natur aus anstreben. Die<br />
christliche Theologie und damit auch Augustinus knüpfen<br />
daran an mit den biblischen Aussagen von der guten Schöpfung,<br />
der Güte des Schöpfers, der Verheißung eines Lebens<br />
über den Tod hinaus und der Erwartung einer Rückkehr zu<br />
Gott als dem Ursprung. Das Streben nach dem Guten dient<br />
einem Leben, das gelingen soll im Sinne Gottes, aber ebenso<br />
auch im Sinne dessen, was er als gut für seine Geschöpfe<br />
bestimmt.<br />
104 EXISTENZANALYSE 29/2/2012