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WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International

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Symposium: Theologie und Seelsorge<br />

les andere dienen muß. Die Nähe zu Gott verbindet sich mit<br />

der Aussicht auf Seligkeit, die auch ein Zur-Ruhe-Kommen<br />

sein wird. Ein vielzitierter Satz Augustins lautet: „Du, Gott,<br />

hast uns zu dir hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz,<br />

bis es ruht in dir.“ Man könnte diesen Satz auch verstehen<br />

als eine religiöse Interpretation dessen, was existenzanalytisch<br />

als noetische Spannung beschrieben wird, als eben<br />

auch permanente Anspannung gegenüber dem, was noch<br />

werden kann und soll, als immer-währende Aufgabe, das<br />

bereits Vorhandene zu überschreiten. Dies entspricht der<br />

Dynamik menschlichen Lebens, darf sich aber gleichwohl<br />

auch mit der Sehnsucht verbinden, am Ende der Tage Ruhe<br />

und Klarheit über alle offenen Fragen zu finden.<br />

Augustinus ist es m. E. gelungen, die Willensfreiheit<br />

und Verantwortung des Menschen zu wahren, aber auch<br />

die Mächte, die sie begrenzen, zu würdigen. Mächte, deren<br />

Wirksamkeit er auch nach der Bekehrung zu einem christlichen<br />

Leben betont hat, um so einer überheblichen und<br />

rechthaberischen Heilsgewißheit entgegenzutreten. So bleibt<br />

ein Mensch in seinem Ringen um das Gute zeitlebens auf<br />

Gnade, auf die Hilfe von außen angewiesen. Ein Schwachpunkt<br />

bei Augustinus ist hingegen eine gewisse Einseitigkeit<br />

im Blick auf die Sünde, so er sie als Begierde versteht.<br />

Seine Aussagen haben hier wesentlich mit dazu beigetragen,<br />

ein leibfeindliches Verständnis vom Menschen in der christlichen<br />

Tradition zu verankern. Dies war sicherlich sowohl<br />

dem damaligen Zeitgeist geschuldet als auch einer mißlungenen<br />

Aufarbeitung eigener biographischer Erfahrungen,<br />

wirkt aber dennoch in manchen Kreisen bis heute nach.<br />

Thomas von Aquin vs. Duns Scotus: Primat<br />

des Intellekts oder des Willens<br />

Die Auseinandersetzung um die Bedeutung des Willens<br />

und der Willensfreiheit hat die Theologie weiter beschäftigt<br />

und erreichte im hohen Mittelalter einen Höhepunkt, der zumindest<br />

kurz skizziert sein soll. Die damit verbundene Kontroverse<br />

konzentrierte sich vor allem auf die Frage nach dem<br />

Wesen Gottes und dessen Erkenntnis. Die Hauptrepräsentanten<br />

dieser Kontroverse waren auf der einen Seite Thomas<br />

von Aquin als Vertreter der dominikanischen Theologie und<br />

auf der anderen Seite Duns Scotus als Vertreter der franziskanischen<br />

Theologie, dessen Denken wiederum stark auf<br />

Luther gewirkt hat.<br />

Thomas von Aquin (1224-1274), der maßgeblich von der<br />

antiken Philosophie geprägt ist, beschreibt Gott vor allem<br />

von der intellektuellen Erkenntnis her in Definitionen wie<br />

causa prima (erste Ursache), actus purus (reine Wirklichkeit)<br />

oder ipsum esse (Sein selbst, ein Sein, in dem Da-Sein und<br />

So-Sein zusammenfallen). Thomas verdanken wir die klassischen<br />

sog. Gottesbeweise als Rückschlüsse des Verstandes<br />

auf erste Ursachen und Bedingungen in Gott. Der Intellekt<br />

ist für Thomas das entscheidende Vermögen, dem der Wille<br />

untergeordnet ist. Diesen nimmt Thomas wiederum vor<br />

allem als appetitus intellectivus ernst, als geistiges Strebevermögen,<br />

das sich <strong>–</strong> wie der Wille Gottes <strong>–</strong> auf das Gute<br />

und Wahre ausrichtet. Doch da das Gute und Wahre vom Intellekt<br />

erkannt wird, geht der auch dem Willen voraus. Willensfreiheit<br />

entsteht überhaupt nur dadurch, daß der Intellekt<br />

des Menschen durch seine Endlichkeit auch begrenzt ist und<br />

somit die Ziele sowie Mittel für menschliches Handeln nicht<br />

mit Notwendigkeit vorgeben kann. Hier kommt die Willensfreiheit<br />

zum Zuge, weil sich Wahlmöglichkeiten eröffnen.<br />

Johannes Duns Scotus (1266/74-1308) hat das Verhältnis<br />

von Intellekt und Willen umgekehrt, dem Willen den Vorrang<br />

gegeben und damit, wie ich finde, den Gottesbegriff erweitert,<br />

indem er auch menschlicherseits Unverständliches,<br />

Leidvolles, Abgelehntes besser integrieren kann. Gott ist für<br />

Duns Scotus als erstes reiner Wille. Alles Weitere wie Erkennen,<br />

Handeln, Sein ist nur möglich, sofern der göttliche<br />

Wille es will. Er hat die Möglichkeit, etwas werden zu lassen<br />

oder auch nicht. Er hat die Freiheit, aus dem Zufälligen<br />

zu wählen. Der göttliche Wille kann durch nichts gelenkt<br />

werden, aber er lenkt alles. Folgerichtig ist Gott auch potentia<br />

absoluta, absolute Macht, die sich nicht nach dem Guten<br />

richtet, sondern umgekehrt: Was Gott will, ist gut. Die Welt<br />

und die Menschen sind von Gott gewollte Schöpfung und<br />

als solche geordnete Macht, die sich wiederum auf den absoluten<br />

Willen Gottes ausrichtet. Und Gott hat sich aus freiem<br />

Willen an seine geordnete Macht gebunden. So zeigt sich<br />

sein Wille für die Schöpfung vor allem als Liebe.<br />

Der menschliche Wille ist für Duns Scotus nicht mehr<br />

wie bei Thomas ein rationales Streben, sondern ein menschliches<br />

Vermögen, das sich spontan auf alles richten kann.<br />

Sofern er sich dann am Willen Gottes orientiert, vervollkommnet<br />

er sich, indem er sich auf etwas anderes nur um<br />

dessentwillen richtet, nicht aus eigennützigen Motiven. In<br />

dem Fall ist er zugleich auch vernünftig.<br />

Dreierlei scheint mir wichtig, festgehalten zu werden für<br />

die weitere Entwicklung des Willensverständnisses: zum einen<br />

die letztgenannte Verbindung von Wille und Vernunft,<br />

wie sie dann bei Immanuel Kant weiterentwickelt wurde;<br />

zum zweiten der Vorrang des Willens vor der Erkenntnis<br />

bei Duns Scotus, worin man im Blick auf das existenzanalytische<br />

Verständnis einen Hinweis auf die Intentionalität<br />

Gottes sehen kann, die allem vorausgeht; zum dritten ein<br />

anderes Verständnis von „gut“. Gut ist, was Gott will, und<br />

nicht umgekehrt, was der Mensch für gut hält und Gott dann<br />

in reiner Form zuschreibt. Dies ist hilfreich, um die Definition<br />

von „gut“ offenzuhalten und nicht normativ zu verengen.<br />

Erasmus von Rotterdam vs. Martin<br />

Luther/Der Streit um die Willensfreiheit<br />

1524/25<br />

Die letzte wichtige Station auf unserem Weg durch die<br />

Theologiegeschichte soll der Betrachtung jener Auseinandersetzung<br />

gewidmet sein, die zum einen noch einmal einen<br />

Höhepunkt markiert im Ringen um das Thema „Willensfreiheit“<br />

und die zum anderen auch verdeutlicht, wo wichtige<br />

Unterschiede zwischen der katholischen und der evangelischen<br />

Konfession liegen.<br />

106 EXISTENZANALYSE 29/2/2012

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